Bis zum Sommer 2022 gehen wir auf Spurensuche an den Grabtextilien aus dem Sarg des Trierer Bischofs Paulinus, der im Jahr 358 unter kaiserlicher Verbannung in der Region Zentralanatoliens verstarb und kurze Zeit später von seinen christlichen Anhängern in seine heutige Grabstätte, die Krypta von St. Paulin in Trier, überführt wurde.
Im Päckchen 33 (Paulinus Blog N° 1, Bild 7 und Blog N° 2, Bild 16) sind drei Haare in unterschiedlichen Lagen zwischen den Seidenfragmenten zum Vorschein gekommen. Könnte es sich dabei um Haare des Heiligen Paulinus handeln? Aufgrund des auffallend guten Erhaltungszustands der drei Haare können wir diese Frage schon mit einem sehr wahrscheinlichen Nein beantworten. Auch die Tatsache, dass der Schädel des Heiligen zu Zwecken der Reliquienverehrung [Blog N° 7] im 15 Jh. aus dem Sarg entnommen wurde und bereits zu dieser Zeit keine Haare aufwies, spricht dagegen.
Woher stammen also die drei Haare? Wie sind sie zwischen die Seidenstoffe gelangt? Wer sind unsere haarigen Zeugen und wer war wann am Tatort? Und können wir auch zerstörungsfrei, ohne High-Tech-Untersuchungen, wie beispielsweise DNA-Analysen, ermitteln? Diesen Fragen versuchen wir in diesem Blogbeitrag auf die Schliche zu kommen.
Wie lassen sich Haare voneinander unterscheiden?
Um die Herkunft der drei Haarfunde zu ermitteln, haben wir folgende Merkmale mikroskopisch untersucht und mit Referenzmaterial verglichen:
Bereits auf den ersten Blick lassen sich Haare an Merkmalen wie Farbe, Länge, Dicke sowie Struktur (wellig, lockig, glatt) unterscheiden. Für eine genauere Differenzierung ist aber ihre Mikrostruktur entscheidend. Die äußere Schuppenschicht eines Haares (Cuticula) zeigt bei verschiedenen Lebewesen jeweils ein anderes Bild. Die Schuppen wachsen stets von der Haarwurzel zur -spitze und variieren je nach Spezies in ihrer Anordnung, Form und Dicke. Unter der Schuppenschicht befindet sich der Faserstamm (Cortex), in dessen Inneren ein Markkanal (Medulla) verlaufen kann, der je nach Tierart unterschiedlich ausgebildet ist.
Auflichtmikroskopie
Mit Hilfe eines Digitalmikroskops werden Objekte von oben oder seitlich beleuchtet und so konnten wir den ersten Eindruck zu Farbgebung und Dicke der Haarfunde gewinnen. Da die maximale Vergrößerung unseres Objektivs bei 200-fach liegt, können allerdings noch keine Details der Schuppenstruktur untersucht werden.
Durchlichtmikroskopie
Im Gegensatz zur Auflichtmikroskopie wird bei der Durchlichtmikroskopie die Probe durchstrahlt und liefert bei zu 400-facher Vergrößerung zum Beispiel wichtige Hinweise zu Schuppenbild und gegebenenfalls Markkanal. Sehr dunkle Haare kann das Licht jedoch nicht durchdringen und die Methode kommt an ihre Grenzen.
Der UHU-Trick
Um die Struktur der Schuppen bei dunklen Haaren im Durchlichtmikroskop dennoch untersuchen zu können, ist die Herstellung von Haarabdrücken möglich. Dafür kann ein handelsüblicher UHU-Alleskleber verwendet werden, von dem ein Tropfen auf einen Glasträger gegeben und mit einem Spatel glattgestrichen wird. Nachdem die Schicht etwas angetrocknet ist, wird das Haar darauf leicht angedrückt und wieder abgezogen. Ziemlich knifflig ist dabei der richtige Zeitpunkt zum Andrücken des Haares an die Klebschicht: Ist diese noch nicht trocken genug, dann bleibt der Kleber am Haar haften, sodass kein Abdruck entstehen kann. Ist die Kleberschicht zu trocken, dann hat die Haaroberfläche keine oder zu wenig Haftung, sodass nach dem Abziehen kein Schuppenbild erkennbar ist. Diese Methode haben wir allerdings nur an Referenzproben angewendet, da immer ein gewisses Risiko besteht, das Haar dabei zu beschädigen.
Rasterelektronenmikroskopie
Um unsere Originale so genau wie möglich und trotzdem zerstörungsfrei betrachten zu können, haben wir auch rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen gemacht. Die Rasterelektronenmikroskopie (REM) ermöglicht eine sehr präzise Analyse der Oberflächenstruktur. Die hochauflösenden Aufnahmen unserer drei Haarfunde haben wir am Leibniz-Institut für neue Materialien der Universität des Saarlandes in Saarbrücken erstellt.
Das erste Haar
Gleich in der obersten Lage im Päckchen 33 (siehe Bild 1) befand sich ein relativ dickes, schwarzes, glattes Haar von ca. 5,5 cm Länge.
Ein Mensch?
Unser erster Verdacht war ein menschliches Kopfhaar, also haben wir Referenzproben unter allen Freiwilligen bei uns am Institut gesammelt. Die Schuppenstrukturen ähneln sich zwar grundsätzlich sehr, aber bei den meisten Vergleichsproben sind die einzelnen Schuppen weniger dicht angeordnet. Der Durchmesser von 116 µm an unserem Haarfund wurde bei keiner der untersuchten Vergleichsproben erreicht und lag bei maximal 90 µm. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es sich um ein menschliches Kopfhaar handelt, da von Person zu Person auch größere Abweichungen möglich sind.
Bürsten, Borsten, Pinsel?
Ein spannendes Indiz: Weder die Haarspitze noch die Wurzel sind bei diesem Haar erhalten und die beiden Enden erscheinen abgerundet bzw. abgenutzt (siehe Bild 7). Sind das Gebrauchsspuren? Könnte das Haar vielleicht von einem Pinsel oder einer Bürste stammen, die vielleicht zur Freilegung des Grabes im Zuge der letzten Graböffnung verwendet wurden?
Um dieser Frage nachzugehen, haben wir die Borsten von einigen historischen Bürsten aus der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg untersucht (Bild 9). Für alle Bürsten wurde die Verwendung von Schweineborsten vermutet, aber bis dato noch nicht untersucht. Im Vergleich mit Referenzproben handelt es sich tatsächlich aller Wahrscheinlichkeit nach um Schweineborsten. Das Haar aus unserem Paulinus-Päckchen stammt allerdings nicht von einem Schwein. Die Abweichungen hinsichtlich Haardicke und Anordnung der Haarschuppen sprechen dagegen (Bild 10).
Ein Pferd?
Schließlich haben wir ein Rosshaar als Referenz mit Uhu-Abdruck genauer betrachtet, da die Schuppenstruktur der schwarzen Schweif- und Mähnenhaare im Durchlichtmikroskop nicht erkennbar ist. Der Vergleich zeigt, dass sowohl Schuppenbild als auch Haardicke unserem Fund viel ähnlicher sind als bei den Schweineborsten. Das Haar stammt also nicht vom Schwein, aber möglicherweise vom Mensch oder Pferd – in letzterem Fall vielleicht zu einem Pinsel verarbeitet?
Das zweite Haar
In tieferer Lage zwischen den Seidenfragmenten (siehe Bild 1) befand sich ein feineres, braunes Haar von 3,5 cm Länge in Form einer Locke.
Diesmal wirklich ein Mensch?
Tatsächlich erinnert das Schuppenbild an das der bereits untersuchten Referenzhaare unserer KommilitonInnen und DozentInnen. Insbesondere das gespendete Schläfenhaar weist so große Ähnlichkeiten auf, dass es sich bei unserem zweiten Haarfund mit sehr großer Wahrscheinlichkeit um ein menschliches (Schläfen-)haar handelt.
Übrigens: Um alle Eventualitäten auszuschließen, hatten wir im Zuge der Untersuchungen auch ein Barthaar angeschaut, das jedoch um einiges dicker ist und auch in Form und Struktur stark von Kopf- und Schläfenhaaren abweicht. Die Schuppenstruktur ist viel weniger ausgeprägt, dafür ist der Markkanal sehr präsent. Zudem sind Barthaare meist in Längsrichtung mittig eingedrückt, sodass ihr Querschnitt einer 8 ähnelt.
Das dritte Haar
Unter weiteren Seidenfragmenten (siehe Bild 1) kam ein ganz anderes, extrem feines, gewelltes Haar von 3,5 cm Länge mit einem interessanten Farbwechsel zum Vorschein.
Katze oder Hund?
Die optischen Merkmale des Haares ließen uns direkt eine Zuordnung zu Tieren, insbesondere Katze oder Hund vermuten. Die Schuppenstruktur des Haarfundes ähnelt sowohl der von Hunde- als auch Katzenhaaren. Eine genaue Zuordnung ist allerdings aufgrund von zwei Problemen kaum möglich: Einerseits sind sich Hunde- und Katzenhaare grundsätzlich sehr ähnlich. Andererseits können sowohl die Schuppenstruktur als auch die Dicke der Haare bei beiden Tierarten stark variieren. Sogar ein und dasselbe Haar kann an unterschiedlichen Stellen ein völlig anderes Schuppenbild zeigen.
Das Haar aus dem Paulinusgrab weist zudem einen Markkanal auf, bei dem einzelne Luftkammern erkennbar sind. Sowohl bei Katzen- als auch Hundehaaren zeigt sich ein ähnliches Bild. Somit konnte bei dem dritten Haarfund keine weitere Eingrenzung erreicht werden. Das Haar könnte sowohl einem Hund als auch einer Katze zugeordnet werden.
Fazit
Unsere Untersuchungen mittels Digital-, Durchlicht- sowie Rasterelektronenmikroskopie führten mit vergleichsweise kleinem Aufwand zu einer ungefähren Zuordnung der drei Haarfunde bzw. Vermutungen zu deren Ursprung. Die drei Haare stammen vermutlich von einem Menschen, einem Pinsel und einem Hund oder einer Katze. Dabei könnte es sich um einen einzigen Zeugen handeln, der sich am Tatort befand: Ein Hunde-oder Katzenbesitzer mit gelocktem Haar und ausgerüstet mit einem Freilegungswerkzeug (Pinsel oder Bürste)? Vielleicht einer der Wissenschaftler, die im Zuge der letzten Graböffnung 1883 das Grab untersuchten?
Auf welche Herausforderungen wir bei der Haaridentifizierung gestoßen sind, wo die Grenzen der angewendeten Methoden liegen und wie eine exakte Bestimmung von Haaren erfolgen kann, fassen wir abschließend zusammen:
Herausforderungen und Grenzen
- Bei der morphologischen Haaranalyse sind verschiedene Methoden zielführend: Die Durchlichtmikroskopie eignet sich gut für hellere Haare, aber weniger gut für dunkle oder gar schwarze Haare. In solchen Fällen eignen sich Haarabdrücke mit dem UHU-Trick oder die Rasterelektronenmikroskopie.
- Die Dicke von Menschenhaar kann je nach Herkunft und Alter eines Individuums, aber auch je nach Kopfstelle stark variieren. So ist ein Schläfenhaar dünner und kürzer als ein Haar der Kopfmitte.
- Eine exakte morphologische Unterscheidung der Haare von Hund und Katze ist kaum möglich. Die Haare beider Tierarten können einerseits je nach Rasse, Alter und Körperstelle hinsichtlich Haardicke, -länge, -farbe und Schuppenstruktur sehr stark variieren. Andererseits sind sich Hund und Katze zumindest hinsichtlich ihrer Haare viel ähnlicher als man denkt!
High-Tech-Methoden zur Haaranalyse
- Im Gegensatz zur mikroskopischen Haaranalyse gilt die DNA-Haaranalyse heute als sicheres Indiz bei Verbrechen. Dafür werden aus den Haarzellen DNA-Sequenzen extrahiert, welche die individuelle Erbinformation enthalten, und mit Referenzproben verglichen werden können. Vor allem die Haarwurzeln enthalten analytisch verwertbares Zellmaterial.
- Die Proteinanalyse macht sich die Tatsache zu Nutze, dass bei diversen Tierarten verschiedene Proteine in unterschiedlicher Häufigkeit vorkommen. Hier sind unterschiedliche Methoden möglich, beispielsweise Extraktion und Trennung der Proteine oder die Bestimmung der Aminosäuresequenz von Proteinen.
- Die Isotopenanalyse von Haaren ermöglicht Rückschlüsse zur geografischen Herkunft und Ernährung eines Individuums, da sich Isotopen je nach Region unterscheiden. An den Haaren des Mannes vom Tisenjoch – den meisten bekannt als „Ötzi“ – ließ sich nach knapp 5000 Jahren noch seine vorwiegend vegetarische Ernährung rekonstruieren.
- DNA-, Protein- oder Isotopenanalysen können einerseits exakte Ergebnisse liefern, setzen jedoch ausreichend und gut erhaltenes Material voraus. Allerdings führen Alterungsprozesse insbesondere bei Haarfunden aus archäologischem Kontext mitunter zu molekularen Veränderungen und können entsprechend die Ergebnisse verfälschen oder beeinträchtigen.
Für die Referenzproben von Borsten historischer Bürsten sowie rezenter Schweineborsten danken wir den Restauratorinnen Annika Dix und Ilona Stein am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Ein herzliches Dankeschön auch an alle HaarspenderInnen des CICS, die ihre Kopf- und Barthaare bereitwillig für unsere mikroskopischen Untersuchungen geopfert haben!
Nach dieser haarigen Angelegenheit berichten wir im nächsten Blogbeitrag von einem Problem, das uns tatsächlich fast die Haare zu Berge stehen ließ!
Bis dahin alles Gute!
Literatur
- A. Rast-Eicher, Fibres. Microscopy of archaeological textiles and furs. Budapest (2016), 62-72.
- J.W.S. Hearle, B. Lomas, W.D. Cooke, Atlas of fibre fracture and damage to textiles. 2. ed. Boca Raton (1998).
- N. Schury, DNA-Analyse an tierischem Spurenmaterial - Etablierung einer Methode zur molekulargenetischen Untersuchung von Tierhaarspuren in der Fallarbeit, insbesondere der Katzen. Dissertation, Mainz (2014), (online-Zugriff) [https://openscience.ub.uni-mainz.de/bitstream/20.500.12030/2876/1/3836.pdf]
- P. Nicholas, Color Atlas and Manual of Microscopy for Criminalists. London (2003), (online-Zugriff) [https://ebookcentral.proquest.com/lib/kxp/detail.action?docID=198637]
- S. Bergelt, Morphologische und DNA-analytische Untersuchungen am Spurenmaterial Haar, Inaugural – Dissertation. Würzburg (2006), (online-Zugriff) [https://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/opus4-wuerzburg/frontdoor/deliver/index/docId/1989/file/Promotion_S_Bergelt.pdf]
- R. Schürer, Bürsten. Bemerkungen zu einem unspektakulären Alltagsgerät. Kulturgut – Aus der Forschung des Germanischen Nationalmuseums. IV. Quartal 2021, Heft 71.
- S. Wülfert, Der Blick ins Bild: lichtmikroskopische Methoden zur Untersuchung von Bildaufbau, Fasern und Pigmenten. Ravensburg (1999).
- U. Zalfen, Diskriminierung textilrelevanter Tierhaare durch Fourieranalyse zweidimensionaler Oberflächenprofile. Aachen (2006), (online-Zugriff) [http://publications.rwth-aachen.de/record/61537/files/Zalfen_Udo.pdf]