Das Gedenken an die gezielte Vernichtung der Juden in Europa durch die Nationalsozialisten beschränkt sich längst nicht mehr auf diejenigen Staaten und Gesellschaften, die in den Holocaust historisch involviert waren. Im Gegenteil. Die Erinnerung an den millionenfachen Mord ist eine weltweite Angelegenheit geworden - allerdings aus teilweise sehr unterschiedlichen Motiven. Der Begriff Holocaust, der lange ausschließlich den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden bezeichnete, hat sich inzwischen zu einem Schlagwort zur Bezeichnung für unterschiedliche Formen genozidaler Verbrechen gewandelt. Das ist nicht immer unproblematisch, wie der Historiker Dr. Jacob S. Eder feststellt. Gemeinsam mit den Historikern Prof. Dr. Philipp Gassert und Prof. Dr. Alan E. Steinweis hat er einen Sammelband herausgegeben, in dem auf den Umgang mit dem Gedenken an den Holocaust in verschiedenen Ländern geschaut wird. Wir haben Dr. Jacob S. Eder dazu unsere Fragen gestellt.
"Umgang mit der Nachgeschichte des Holocaust global neu denken"
L.I.S.A.: Nach Ihrem Buch „Holocaust Angst“, in dem sie sich mit der Holocaust-Erinnerungskultur der USA und den Beziehungen zu Deutschland befassen, widmet sich Ihr neuer Essay-Band „Holocaust Memory in a Globalizing World“ - wie der Titel schon verrät - dem Gedenken an den Holocaust weltweit und den verschiedenen Sichtweisen darauf aus der Perspektive anderer Länder. Wie ging in ihrer Forschung dieser Schritt hin zu einer globalen und vielschichtigen Sichtweise des Themas Holocaust-Erinnerung vonstatten? Welche Anlässe, welche Motivationen brachten Sie zur Forschung auf diesem Gebiet?
Dr. Eder: Der Essayband, den ich ja nicht alleine, sondern gemeinsam mit Alan E. Steinweis und Philipp Gassert herausgegeben habe, ist das Ergebnis einer mehrjährigen transnationalen Kooperation. Unsere Studiengruppe hat insgesamt dreimal zwischen 2011 und 2013 getagt, und zwar in Augsburg, Haifa und Jena. An den Tagungen waren insgesamt etwa dreißig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Europa, Israel und den USA beteiligt, haben Vorträge gehalten und mit uns diskutiert. Vierzehn von Ihnen haben letztlich einen Beitrag für den Band beigesteuert. Insofern kann ich nicht sagen, dass der Band – was meine Beteiligung daran angeht – aus der Arbeit an meinem Buch Holocaust Angst hervorgegangen ist, sondern parallel dazu entstanden ist. Alan Steinweis und Philipp Gassert denken übrigens schon länger gemeinsam über die Nachgeschichte des „Dritten Reichs“ nach und haben zum Beispiel 2006 zusammen den Band Coping with the Nazi Past herausgegeben.
Ausschlaggebend für den vorliegenden Band war für uns die Beobachtung, dass die globale Relevanz des Holocaust – sei es als Chiffre für Massenmord oder als Bezugspunkt für die Opfer anderer Massenverbrechen – zwar oft postuliert, aber selten empirisch untersucht worden ist. Das gilt vielleicht in besonderem Maße für die deutsche Geschichtswissenschaft, in der die Nachgeschichte des Nationalsozialismus doch immer noch vor allem als Nationalgeschichte geschrieben wird. Im Zentrum unseres Bandes steht hingegen das Vorhaben, den Umgang mit der Nachgeschichte des Holocaust global neu zu denken und auch – gerade in Deutschland – wenig beachtete Fallbeispiele in die Diskussion einzubringen, z.B. Neuseeland, Argentinien, Indien oder China. Der Band fragt aber auch danach, wie sich Migranten vor allem aus muslimisch geprägten Ländern in Europa zum Diskurs über den Holocaust verhalten. Und er untersucht, wie sich Minderheiten mit ihren eigenen Verfolgungserfahrungen in Europa sowie in außereuropäischen Ländern mit der Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden befassen.