Ende der 1970er Jahre entstand in den Vereinigten Staaten ein neues Interesse an der Geschichte der Vernichtung der Juden während des Nationalsozialismus. Öffentlichkeitswirksam manifestierte sich dieses Interesse unter anderem in dem US-amerikanischen TV-Mehrteiler "Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss". In der Bundesrepublik wurde diese neue Hinwendung zur Shoa aufmerksam verfolgt und breit beziehungsweise kontrovers rezipiert. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Wahrnehmung der Bundesregierung, die im Zuge der neuen Beachtung des Holocaust um das Ansehen Deutschlands im Ausland fürchtete. Der Historiker Dr. Jacob S. Eder von der Universität Jena hat diese Beobachtung zum Ausgangspunkt seines von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Dissertationsprojekts genommen und anhand der Analyse bekannten aber auch neu freigegebenen Aktenmaterials den Umgang der offiziellen Bundesrepublik mit der US-amerikanischen Verarbeitung der Judenvernichtung untersucht. Seine inzwischen erschienene Doktorarbeit "Holocaust Angst. The Federal Republic of Germany and American Holocaust Memory since the 1970s" ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Wir haben Jacob S. Eder unsere Fragen zu seinem Buch gestellt.
"Langfristig förderlich auf den politischen Umgang mit dem Holocaust ausgewirkt"
L.I.S.A.: Herr Dr. Eder, Sie haben in Ihrem Dissertationsprojekt das US-amerikanische Gedenken an den Holocaust aus der Perspektive der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren und insbesondere während der Kanzlerschaft von Helmut Kohl untersucht. Das daraus entstandene Buch „Holocaust Angst“ ist mehrfach ausgezeichnet worden und wurde im Feuilleton sehr positiv besprochen. Ein Befund Ihrer Studie lautet, dass es im Umfeld um Kohl antisemitische Einstellungen gegeben hat. Bevor wir im Einzelnen auf die Ergebnisse Ihrer Studie eingehen – wie kamen Sie auf das Thema? Hatten Sie Hinweise aus anderen Zusammenhängen, denen Sie dann nachgegangen sind? Oder war der Nukleus Ihrer Arbeit einfach nur eine Vermutung?
Dr. Eder: Zu meinem Thema bin ich eigentlich auf einem ganz anderen Weg gekommen. Wie Sie sicher wissen, gibt es in den USA in Bezug auf die deutsche Geschichte kaum ein Thema, das Amerikaner so interessiert oder beschäftigt wie der Nationalsozialismus und der Holocaust. Das gilt für die Medien, aber auch für den Geschichtsunterricht an Schulen oder Universitäten. An der University of Pennsylvania, wo ich promoviert habe, war zum Beispiel die Vorlesung zur Geschichte des „Dritten Reichs“ für etwa drei Jahrzehnte einer der beliebtesten Kurse an der gesamten Universität. Aber das gilt auch für die staatliche Erinnerungskultur. An der National Mall in Washington finden Sie heute drei Nationalmuseen, die sich mit der Geschichte der Opfer von Diskriminierung, Rassismus und staatlichen Gewaltverbrechen beschäftigen. Seit etwa zehn Jahren gibt es das Museum of the American Indian, das National Museum of African American History and Culture wurde erst 2016 eröffnet. Das United States Holocaust Memorial Museum gibt es jedoch schon seit 1993, geplant bzw. konzipiert wurde es schon seit den späten 1970er Jahren.
Mich hat diese Konstellation als Deutscher, der seit seiner Schulzeit immer wieder länger in den USA gelebt hat, schon seit langem sehr interessiert. In meinem Buch bin ich dann der Frage nachgegangen, was deutsche Politiker, Diplomaten, aber auch die Vertreter von politischen Stiftungen eigentlich über diese zentrale Rolle dachten, die der Holocaust, also ein von Deutschen begangenes Verbrechen, in den USA einnimmt. Daher ging es mir in meinem Buch auch nicht vorranging um den Antisemitismus, dieser Befund ist nur eines der Ergebnisse meiner Studie. Im Zentrum steht das Argument, dass sich die zunächst alles andere als willkommene Konfrontation mit der amerikanischen Holocaust-Erinnerung langfristig förderlich auf den politischen Umgang mit dem Holocaust auch in der Bundesrepublik ausgewirkt hat. Am Ende stand also ein bemerkenswerter Lernprozess.