Besonderes Augenmerk galt in vielen Fragen den Inhalten der beiden Vorlesungen von Butler an den vorangegangenen Tagen. Die in ihnen formulierten Konzepte von „grievability“ („Betrauerbarkeit“) und „vulnerability“ („Verletzlichkeit“) wurden in Bezug gesetzt sowohl zu früheren Forschungen Butlers – etwa zu „subversion“ und „revolution“ in den Publikationen der 1990er Jahre – wie auch zu drängenden Ereignissen der Gegenwart: Flucht und Vertreibung im Mittelmeerraum, der Terrorakt von Orlando, Hass gegen Menschen mit vermeintlich anderen Hautfarben und sexuellen Orientierungen. Für Butler sind Solidarität und Anteilnahme am Leben der Anderen Schlüsselaspekte für eine gerechtere Welt. Betrauerbar sind dabei nicht nur Menschen, sondern auch kulturelle Erzeugnisse wie Bau- und Kunstwerke als Zeichen der Geschichte von Menschen – so habe beispielsweise die Zerstörung Aleppos zu wenig Berichterstattung in den Medien erhalten. Betrauerbarkeit und Verletzlichkeit werden nicht nur als ethische, sondern auch als politische Konzepte eingeführt, die Butler dem neoliberalen Dogma vom „Leben als Ware“ entgegen setzt.
Der Kritik, dass die beiden Begriffe persönliche Konzepte seien, die sich nicht politisieren lassen oder politisiert werden sollten, begegnete Butler mit dem Hinweis darauf, dass die Grenzen zwischen persönlichen und öffentlichen Konzepten „shifting boundaries“, also veränderlich seien, und dass die Sphären nur allzu oft ineinander greifen würden, etwa wenn Eltern die Partnerin oder den Partner ihres Kindes aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Religion nicht akzeptieren würden: „Political notions interfere deeply with personal spaces.“ Bei der Erläuterung der Frage, wie die Kluft zwischen „personal mourning“ und „a general, public grievability of people“ ganz praktisch überwunden werden könne, verwies Butler auf die Verantwortung der Politik: „A policy that accepts the loss of lives is a huge failure of political parties. Based on the acknowledgement of the grievability of all lives, enforceable policies need to be implemented“. Doch auch auf das persönliche Leben jedes Einzelnen hätte das Konzept der Betrauerbarkeit Auswirkungen: „In a relationship we are at risk of loss: In loving someone, we accept that we are going to grieve.”
Zum Ende der zwei intensiven, wie im Flug vergangenen Stunden war deutlich: Butler ist eine im besten Sinne inter-disziplinäre Denkerin, die ihre Forschung als Teil einer umfassenden politischen Philosophie sieht und den Feminismus als Folie für fundamentale normative Konzepte. Wir danken Judith Butler sehr herzlich für die eindrückliche Woche und hoffen, sie bald wieder in Köln begrüßen zu dürfen!