L.I.S.A.: Woran liegt es, dass Fächer an Bedeutung verlieren und andere aber neu hinzukommen?
Mainzer Arbeitsstelle Kleine Fächer: Da uns zu dieser Frage keine fundierten empirischen Ergebnisse vorliegen, können wir hier nur Vermutungen anstellen. Unseres Erachtens gilt es zur Beantwortung dieser Frage jedoch u.a. die folgenden Aspekte zu beachten, die das Thema der Bedeutung von Fächern aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten:
Zunächst ist ganz generell festzuhalten, dass sich Wissenschaft stets in einem Wandel befindet und sich nicht nur ihre Gegenstände und Methoden, sondern auch die Relevanz ihrer Fragestellungen für die Gesellschaft verändert. Am Beispiel der Islamwissenschaft lässt sich dies sehr gut nachvollziehen. In der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 ist das Interesse an der Expertise von IslamwissenschaftlerInnen in besonderem Maße gestiegen und das Fach hat an den deutschen Universitäten einen Ausbau erfahren. Zugleich bedeutet ein gesteigertes gesellschaftliches Interesse an bestimmten Fächern jedoch noch nicht, dass es automatisch auch zu einer höheren Nachfrage seitens der Studierenden kommt. D.h. die gesellschaftliche Relevanz ist ein möglicher Grund, aber keinesfalls ein Garant für die gesteigerte Bedeutung eines Faches.
Neben diesem Aspekt der öffentlichen Aufmerksamkeit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Bedeutung von Fächern im Zuge der Bologna-Reform dahingehend verändert hat, dass nun eher (anwendungsbezogene) Studiengänge als Fächer in den Blick geraten. D.h. die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge orientieren sich nicht zwingend an disziplinären Grenzen. Gerade auf Bachelor-Ebene werden nicht selten (kleine) Fächer zu Verbundstudiengängen zusammengefasst, während auf Ebene der Masterstudiengänge Spezialisierungen zu beobachten sind, die oft nur Teilbereiche von Fächern abbilden. Welche Folgen aus dieser Entwicklung für die einzelnen Fächer sowie für deren Zusammenspiel erwachsen, wird wohl erst in einigen Jahren ersichtlich sein.
Last but not least erfordern der Wandel der Bedeutung von Fächern und insbesondere die Frage der Entstehung neuer Fächer, den Blick auf unsere Wissenschaftskultur historisch zu weiten. Vergleicht man die aktuelle Kartierung der kleinen Fächer mit der ersten Kartierung, die zu Beginn der 1970er Jahre vom deutschen Hochschulverband durchgeführt wurde, so hat sich die Anzahl der aufgeführten kleinen Fächer bis heute nahezu verdoppelt. Ein Grund dafür ist vor allem in der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Disziplinen sowie in der Bildung von problembezogenen Hybrid-Wissenschaften zu sehen. So sind beispielsweise die Fächer Dänisch oder Friesisch hinzugekommen, die vorher als Teilbereiche zur Germanistik gehörten, und zugleich hat sich an der Schnittstelle von Fächern wie Biologie und Informatik die Bioinformatik gebildet.
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Und der Nachtrag: es ist schon bezeichnend, daß die früheren Säulen der akademischen Bildung, die Latinistik und die Gräzistik nur noch Orchideen sind. Ja selbst die Astronomie, die doch eigentlich eine Fortschrittswissenschaft wäre.
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Im Jahr 2007 waren die "Geisteswissenschaften" Mittelpunkt des Wissenschaftsjahres (was schon zeigt, daß mittlerweile eigentlich alle geisteswissenschaftlichen Fächer auf dem Weg zu "Orchideenfächern" sind, wenn nicht einmal mehr Fächer wie Germanistik oder wenigstens die Philologien allgemein oder die Geschichtswissenschaften eigenständig geführt werden. Sei es drum, im Rahmen des Wissenschaftsjahres ging es auch um die Stellung der kleinen Fächer, die auf der Webseite ein paar ihrer Vertreter durch Videos präsentieren konnte. Es ist zum Teil irritierend, wenn man sehen muß, daß für einen selbst sehr wichtige und präsente Fächer nur noch als Randerscheinung und Luxusgut gelten, weil sich mit ihnen letztlich kein Geld machen lässt und heutzutage fast nur noch das von Wert ist, was Gel bringt, statt es nur zu kosten.
http://www.zak.kit.edu/1750.php