Die These des Historikers Philippe Ariès (1914-1984), dass die Vorstellung von der Kindheit als eigenem Lebensabschnitt erst zwischen Mittelalter und der Moderne „entdeckt“ worden sei, wurde von ihm in dem ab 1975 auch auf Deutsch in zwischenzeitlich 17 Auflagen erschienenen Werk „Geschichte der Kindheit“ (frz. L’Enfant et la vie familiale sous l’Ancien Régime, Paris 1960) vertreten. Vor dieser Zeit hätte eine emotionale Nähe zwischen Kindern und ihren Eltern gefehlt. Sehr bald danach wurde diese Annahme in der Geschichtsforschung zurückgewiesen. Dennoch zeigte sie sich vor allem in der Erziehungswissenschaft als ungeheuer populär. Sie wurde insbesondere in sozialwissenschaftlichen Kontexten vielfach aufgenommen und prägt das Nachdenken über Kindheit und deren historische Einordnung bis heute. Die Rede vom Kind als „kleinem Erwachsenen“ im „dunklen“ Mittelalter ist vielfach Allgemeingut geworden. Warum konnte bzw. kann sich diese Vorstellung so lange behaupten? Auch Sabine Andresen und Klaus Hurrelmann beginnen etwa ihr verbreitetes Lehrbuch „Kindheit“ von 2010 mit der These des Kindes als kleinem Erwachsenen. Im Vortrag sollen zunächst die Thesen von Ariès sowie Kritikpunkte an ihnen seitens der Mittelalterforschung ab 1980 vorgestellt werden. Weiterhin soll ihre Rezeption in den historischen Zusammenhang mit Forschungsdiskursen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestellt werden.
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