Die Dramatik der Bildmotive der "Drei Großen Bücher", aber auch der Detailreichtum und die Präzision dieser Holzschnittarbeiten Albrecht Dürers faszinieren nach wie vor. Sie erschienen erstmals 1511 in Buchform: das Marienleben, die Große Passion und die Apokalypse. Die Sujets der einzelnen Blätter im Folioformat entstammen der Bibel und haben die christlichen Vorstellungen von den Letzten Dingen, der Eschatologie, zum Thema, die in einer bestimmten Abfolge verstanden werden sollten. Dem Leben Mariens, der Mutter des Gottessohnes, folgt die Passion Christi sowie seine Auferstehung und endet in der Apokalypse mit der Vollendung des Reich Gottes. Den einzelnen Blättern des Marienlebens und der Großen Passion zur Seite gestellt, sind in lateinischer Sprache Texte des humanistisch geprägten Mönchs Benedictus Chelidonius. Den Begleittext zur Apokalypse entnahm Dürer indes der Offenbarung des Johannes. Anlässlich des 550. Geburtstags Albrecht Dürers (21. Mai 1471, Nürnberg) sind die Drei Großen Bücher jüngst neu erschienen. Die Kunsthistorikerin Prof. Dr. Anja Grebe hat den Band herausgegeben sowie wissenschaftlich eingeleitet und kommentiert. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Reichtum seines Oeuvres und verschiedene Facetten seiner Persönlichkeit"
L.I.S.A.: Frau Professor Grebe, Sie haben zuletzt und passend zum Dürer-Jahr einen beeindruckenden Band mit Albrecht Dürers "Drei Große Bücher" herausgegeben und diesen wissenschaftlich begleitet. Bevor wir zu einigen Einzelheiten kommen, was bewegt Sie, sich mit Dürer zu beschäftigen? Was ist Ihr primäres Interesse an diesem - ja, was eigentlich: Künstler, Handwerker, Illustrator, Buchgestalter, Verleger, Geschäftsmann? Wen sehen Sie vor allem, wenn Sie an Dürer denken?
Prof. Grebe: Zunächst einmal: Auch nach mittlerweile fast 20 Jahren der Beschäftigung mit Albrecht Dürer bin ich immer wieder fasziniert von der unglaublichen Vielfalt und dem Reichtum seines Oeuvres und den verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit. Als Kunsthistorikerin sehe ich zunächst natürlich vor allem Dürer als Künstler vor mir. Neben mindestens 100 Gemälden unterschiedlicher Thematik und Größe hat er rund 300 Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen geschaffen und gegen Ende seines Lebens drei kunsttheoretische Schriften publiziert. Außerdem werden annähernd 1000 Zeichnungen Dürer und seinem Umkreis zugeordnet – darunter so berühmte Blätter wie der „Hase“ (1502), in denen man dem Künstler bei seinem Blick auf die Natur gleichsam unmittelbar über die Schulter schauen kann. Ebenso genau wie seine Umwelt hat Dürer jedoch auch die Kunst seiner und vorheriger Generationen studiert und sich in seinen Werken damit auseinandergesetzt. Dabei hat er das Bekannte inhaltlich, konzeptionell und technisch weiterentwickelt und nicht selten die Grenzen der Gattungen gesprengt – und Werke geschaffen, die die Betrachter*innen bis heute in ihren Bann ziehen.
Hier kommt Dürer als Handwerker ins Spiel: Seine künstlerischen Innovationen wären nicht möglich gewesen ohne eine exzellente Beherrschung der handwerklichen Techniken und des Wissens um den Einsatz von Materialien und ihrer Wirkung.
Die „Drei Großen Bücher“ sind insofern besonders spannend, als sich Dürer hier nicht nur als Künstler und Handwerker, sondern auch als Illustrator, Buchgestalter und Verleger zeigt und als dieser auch die geschäftlichen Belange im Blick haben muss. Denn im Gegensatz etwa zu einem festen Altar- oder Porträtauftrag schuf Dürer die großformatigen Buchausgaben des „Marienlebens“, der „Großen Passion“ und der „Apokalypse“ 1511 für den „freien“ Markt und musste bei der Produktion in erhebliche finanzielle Vorleistungen gehen. Als Historikerin und Kulturwissenschaftlerin interessieren mich daher auch die wirtschaftlichen Aspekte und die daran anknüpfenden Fragen nach den Käufern bzw. „Kunden“, der Verbreitung und der Rezeption von Dürers Werken. Eine Erforschung dieser Phänomene trägt auch dazu bei, der großen Frage nach dem Stellenwert der Kunst in der Dürer-Zeit und nicht zuletzt der „Drei Großen Bücher“ als (Buch-)Kunstwerke ein Stück näherzukommen.