Das klassische arabische Pferd gilt als das Ergebnis jahrhundertelanger züchterischer Aktivitäten arabischer Beduinen aus dem Norden der arabischen Halbinsel und der syrischen Steppe. Die genaue Herkunft und eine exakte Datierung sind zwar umstritten, jedoch gilt es als sicher, dass das arabische Pferd bereits im 2. Jahrtausend v. u. Z. als eigenständige beduinische Zuchtrasse existierte, wobei keine Details über die Umstände und genauen beduinischen Zuchtmethoden und -techniken, die zur Etablierung der ‚Rasse‘ führten, vorliegen (Derry 2003: 104f.). Die Zuchttradition der arabischen Beduinen und Fragen nach dem Ursprung und der kulturgeschichtlichen Konstituierung des arabischen Pferdes haben Wissenschaftler, Züchter und Pferde-Liebhaber seit jeher interessiert und so ein enormes Korpus an Publikationen produziert (z.B. Blunt 1879; Davenport 1909; Oppenheim 1939; Forbis 1980; Olms 1985; Nagel 1998; Paraskevas 2010, 2011).
Das Forschungsprojekt nimmt seinen Ausgang bei den radikalen Transformationsprozessen, die zur Etablierung des globalen Marktes für reinrassige Araberpferde in der britischen Tier- und Agrarwirtschaft seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts führten. Diese wurden primär durch ein von Robert Bakewell eingeführtes, neues System intensiver Rein- und Inzuchtmethoden für Rinder ausgelöst und hatten die Schaffung öffentlicher, standardisierter Register zur Kontrolle und Vermarktung der neuen Zuchtergebnisse zur Folge. Aus historischer Perspektive untersucht z.B. Margaret Derry die Verflechtungsgeschichten von Mensch und Tier an ausgewählten reinrassigen Züchtungen (neben dem arabisches Pferd auch Rind und Collie) und wie diese neuen Züchterpraktiken und das Entstehen immer weiterer neuer Spezialzüchtungen und -rassen im 18. und 19. Jahrhundert ein transnationales Vermarktungssystem zwischen Großbritannien und den USA hervorbrachten, das die globalen Verflechtungen und den Markt reinrassiger arabischer Pferde im 21. Jahrhundert weiter prägt (Derry 2003: 3ff.). Ihre Arbeit knüpft an die von Harriet Ritvo an, die ebenfalls als Historikerin über die im viktorianischen Großbritannien neu entstehenden Zuchttechniken und Tier- und Pflanzenklassifikationssysteme forscht. Diese im Feld der Human Animal Studies zu verortenden Arbeiten versuchen zu erhellen, wie sich soziale Herrschaftsansprüche, Überlegenheits- und Modernitätsdiskurse des Empire in biologisch-technischen Konzepten und ‚Wissen‘ zu Tier- und Pflanzenzucht und ihren entsprechenden Taxonomien materialisieren (Ritvo 1989, 1997).
Eine ähnliche Perspektive wählen die beiden Ethnologinnen Rebecca Cassidy und Cristina Grasseni in ihren Ethnografien zur Welt des britischen Pferderennsports (Cassidy 2002) und zu Rinderzüchtern in den italienischen Voralpen (Grassini 2009). Beide untersuchen unter anderem, wie gruppenkonstituierende lokale Praxis – also hier die Vermittlung und Anwendung von Wissen über und Techniken im Umgang mit Pferden und Rindern – einerseits immer schon durch historische Ereignisse (wie die globale Verbreitung der Bakewell’schen Zuchtmethoden) beeinflusst und konsolidiert wurde; und dabei stetig technologische Innovationen und Transformationsprozesse aufgegriffen und übersetzt werden, die meist nicht lokal sondern aus transnationalen globalen Verflechtungen in die Praxis hineinwirken.
Am Anfang des letzten Jahrhunderts begannen euroamerikanische Privatzüchter, Händler und Liebhaber_innen des arabischen Pferdes, einen globalen Markt zu schaffen, indem sie verstärkt reinrassige arabische Pferde aus Ägypten, Syrien und Nordarabien nach Europa und in die USA importierten, dort heimische Zuchtprogramme und -linien etablierten, um so ‚das authentische arabische Pferd‘ zu erschaffen. Seit den letzten Jahren drängen auf diesen globalen, mittlerweile hochkapitalisierten und von transnationalen Interessenverbänden beherrschten Markt verstärkt investitionsstarke arabische Eliten, die ihrerseits versuchen, unter dem Motiv der Rück- bzw. Wiederaneignung arabisch-beduinischer Tradition Fuß zu fassen.