Ethnografische Sammlungen gehören aktuell wohl zu den brisantesten Elementen der deutschen Museumslandschaft. Im Rahmen der Debatten um Restitution, Verantwortung und Zielsetzung begannen viele, ihre eigene Rolle und Geschichte zu hinterfragen. Einer der wohl kritischsten Punkte dieses Prozesses ist der Umgang mit sogenannten „human remains“, also menschlichen Überresten. Dabei sind derartige Sammlungen nicht die einzigen Kontexte, in denen Teile von toten Körpern ausgestellt werden, wie Friedrich J. Becher weiß, der gerade an einer von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Dissertation über den Umgang mit menschlichen Knochen in öffentlichen Ausstellungskontexten seit dem Spätmittelalter arbeitet. Im Interview hat er uns erklärt, wie vielseitig und schwierig der Umgang mit den Gewesenen ist und was das für die heutige Ausstellungspraxis bedeutet.
"Das Nachdenken über den (toten) (eigenen) Körper salonfähiger machen"
L.I.S.A.: Herr Becher, im Rahmen Ihres Promotionsprojekts an der Universität Bonn beschäftigen Sie sich mit dem Umgang mit menschlichen Knochen in öffentlichen Ausstellungs-Kontexten. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen? Was waren Ihre Vorüberlegungen?
Herr Becher: Es gibt aktuell Diskussionen in Museen, Wissenschaft wie Feuilleton zur Rückgabe von kolonialem Raubgut. Darunter finden sich menschliche Überreste. Ausgehend davon stellte sich mir die Frage, wieso auf der einen Seite das Ausstellen von Knochen problematisiert wird, an anderen Stellen vor einigen Jahrzehnten unter Aspekten der NS-Diktatur neusortiert wurde, wiederum an anderen Stellen das Ausstellen von Knochen aber völlig gebräuchlich und gemeinhin akzeptiert ist, etwa im Kontext von Reliquien. Daraus ergab sich, dass es offenbar eine lange Kulturgeschichte des Ausstellens menschlicher Überreste, menschlicher Knochen in Deutschland gibt, diese mal mehr, mal weniger kritisch begleitet wurde. Diese wollte ich genauer beleuchten und es nicht nur bei Allgemeinplätzen oder Einzelfallanalysen belassen: Wann bzw. unter welchem Umständen war/ist es „problemlos“ möglich, Knochen auszustellen und welche Implikationen bringt das mit sich, muss der menschliche Knochen ja irgendwie „gewonnen“ werden?
Zudem meine ich, berührt die Frage nach dem, wie historisch bis aktuell mit menschlichen Knochen umgegangen wurde/wird auch ganz elementar menschliche Fragen: Wie wollen wir, das mit dem Körper von uns und anderen umgegangen wird? Was sagt uns das Ausstellen/ die Ausstellung über die Gewesenen? Und was über die historische/aktuelle Gesellschaft, die diese Ausstellungsform richtig fand/findet? Das Interesse nach dem, wie wir als Menschen mit der Unvorstellbarkeit des eigenen Todes umgehen und welche „Ewigkeitsstrategien“ wir dabei entwickeln, mäandert dabei immer wieder durch meine Forschungen. Dabei ist mir wichtig, dass eine Morbidität, eine Lust am Grusel in meiner Forschung eben keinen Platz hat. Ich halte die Verbindung menschlicher Überreste zu Geisterbahnassoziationen für verständlich, sie begegnet mir auch im wissenschaftlichen Kontext oft. Und tatsächlich wurde die Kulturgeschichte des Umgangs mit toten Körpern nie als unbedenklich eingestuft, war immer eine Grenzsituation. Gleichwohl erachte ich diese Assoziation aber für gefährlich, wenn sie dazu führt, dass wir uns von uns selbst als sterblichen Lebewesen entfernen und die Körper der Gewesenen entweder sofort unsichtbar machen oder (in Ausstellungen) nicht als unseresgleichen wahrnehmen. Schließlich wünsche ich mir, etwas dazu beizutragen, das Nachdenken über den (toten) (eigenen) Körper salonfähiger machen zu können.