L.I.S.A.: Bei ausgestellten Knochen denken die meisten vermutlich an die Katakomben von Paris oder an Gunther von Hagens‘ „Körperwelten“. Wo finden sich denn überall ausgestellte Knochen und wo würden wir sie vielleicht nicht vermuten?
Herr Becher: In den Katakomben sind Knochen sichtbar, von Hagens hingegen zeigt plastinierte Körper. Das wird im allgemeinen Diskurs oft gemeinsam genannt, ist aber durchaus unterschiedlich. Hier die blanken, sauberen Knochen, die wir zugleich aber als Symbole für den Tod (der grinsende Schädel, das Skelett) kennen; dort das (nun nicht mehr) verwesliche Fleisch, welches wesentlich weniger abstrakt, wesentlich menschlicher und sterblicher wirkt. Es ist durchaus ein kulturhistorischer Unterschied, wegen dem ich mich in meiner Forschung eben auch den Knochen widme, nicht aber menschlichen Überresten allgemein. Aber der Vergleich ist reizvoll: Was macht es mit Besuchenden, wenn sie vor einem sauberen Skelett stehen? Und was, wenn es als Präparat zurück starrt?
Zugleich bietet Ihr Beispiel eine andere Vergleichsmöglichkeit: Die Pariser Katakomben wurden in Reaktion auf die Auflassung der innerstädtischen Friedhöfe, also säkulare wie seuchenhygienische Prozesse, installiert. Die dort Ruhenden haben wohl nicht damit gerechnet, jemals zur Tourist*innenattraktion zu werden. Anders die Körperwelten: Wer sich hier als Körperspender*in meldet, weiß dass er*sie ausgestellt wird, wenngleich anonymisiert. Knochen finden sich zuvorderst ausgestellt dort, wo wir sie wohl landläufig erwarten: Etwa in katholischen Kirchen als Reliquien, aber auch als Mirabilia, in Anatomiemuseen zur Forschung und Lehre, in ethnographischen Sammlungen als historische Belege einer konstruierten „Überlegenheit“ oder als Semiphoren „anderer“ Kulturen, und weiteren historisch gewachsenen Ausstellungskontexten. Aber auch an vielleicht unerwarteten Orten wie evangelischen Kirchen im Zusammenhang mit Beinhäusern oder im Kontext von sonst gänzlich anderen Sammlungen wie etwa historischen Herrschendensammlungen können wir mit Knochen konfrontiert sein, jeweils unter anderen Bedingungen und anderen Sammelgründen.
Mich überrascht hat eine katholische Kirche in Bayern, in welcher es lange Brauch war, Knochenfragmente als Votivgaben zu opfern. Diese Gaben befinden sich jetzt im bayerischen Nationalmuseum und sind dort ein Zeichen tiefer (körperlicher) Religiosität. Und dann gibt es, als dritte Sphäre, noch die Orte, wo Knochen gezeigt aber nicht ausgestellt (also kuratiert, inszeniert) werden. Hier ist etwa an Schulen zu denken, wo in Kunst- wie Biologietrakten oft echte Skelette existieren. Um diese Orte geht es in meiner Forschung nicht, aber auch sie sind zu bedenken, wenn wir überlegen, wo überall menschliche Überreste sind und wie wir mit ihnen (zukünftig) umgehen wollen.