Ob man dem Denkanstoß des Autors, Raimund Karl, strengere Auswahlen zu treffen und den minder aussagekräftigen Rest „auf die ein oder andere Weise zu entsorgen“ zustimmt oder nicht – er spricht ein erhebliches Problem an, das im Zeitalter allgegenwärtiger Massendatenhaltung ein ebenso allgegenwärtiger Diskussionsgegenstand geworden ist: Das Altern der Informationen, der Forschungsdaten und letztlich der Aussagekraft von Objekten.
Die meisten Objekte, die Gegenstand archäologischer Forschungen sind, besitzen eine gewisse Permanenz: Keramikscherben zerfallen so schnell nicht zu Staub, schon gar nicht von alleine, selbst Metallfunde und Knochen – so sie angemessen aufbewahrt wurden – überdauern lange ZeitNatürlich trifft das nicht unbedingt auf alle Gattungen zu.; ebenso Steine, seien es Skulpturen oder Bestandteile einer erneut vergrabenen Mauer. Das fragile an den Dingen sind die mit ihnen verbundenen aber nicht fest in sie integrierten Informationen: Aus welcher Grabung stammt die Scherbe? Wo wurde die Münze gesammelt? Aus welchem Befund kommt das Gefäß? Was war noch mal mit dieser unbeschrifteten kleinen Plastiktüte, in der schwarze Asche vor sich hin bröselt?
Raimund Karl nennt als Beispiel Altfunde, die aus einem zerbombten Archiv geborgen wurden. Die Objekte seien teilweise kaum zu identifizieren, die Papieraufkleber mit den Inventarnummern verbrannt, und dennoch würde diese Menge von ‚altem Mist‘, wie er es implizit nennt, aufbewahrt. Wer seiner Argumentation folgt, ist geneigt, ihm zuzustimmen. Und doch kratzt immer das Gewissen im Hinterkopf, das er überspitzt als Symptom einer Zwangsstörung deutet: Was, wenn diese Dinge noch für „zukünftige archäologische Untersuchungen gebraucht und genutzt“ werden können? Diese Zwangsstörung – und die daraus resultierende Masse ungenutzter Objekte – erzeuge einen Leidensdruck, der sich in Zugangshürden, Überarbeitung und daraus resultierender Vernachlässigung der Magazine äußere.
Das Problem hat der Permanenz von mit Objekten verbundenen Informationen betrifft nicht nur die Archive der deutschen Denkmalpflege, auf die sich Karl maßgeblich bezieht. Es ist eine der größten Herausforderungen für jene, die es auf sich genommen haben, eine sog. ‚Altgrabung‘ aufzuarbeiten. Doch die Aufarbeitung solcher Grabungen ist nötig: Je mehr Zeit vergeht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Informationen verloren gehen. Die erwähnten Papieraufkleber fallen ab, Tinte verblasst, und eilig abgelegte, vielleicht nicht eindeutig beschriftete Dokumente gehen verloren. Papier mag geduldig sein, aber es wartet nicht für immer.