Heute vor 198 Jahren, am 20. Juni 1815, beschloss der Kölner Gemeinderat, "eine Deputation nach Paris zu senden, um dem preußischen König die Treue und Ergebenheit der Stadt zu versichern". So schreibt es Dr. Jürgen Herres, Historiker und Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, in seiner neuesten Publikation "Köln in preußischer Zeit, 1815-1871". Als im Rheinland verankerte und in Düsseldorf ansässige Redaktion hat uns das Buch natürlich sehr interessiert. Wir haben darüber mit dem Autor ein Interview geführt.
"Klischee des ausgelassenen und aufmüpfigen Rheinländers"
L.I.S.A.: Herr Dr. Herres, zuletzt ist Ihr Buch „Köln in preußischer Zeit“ in der Reihe „Geschichte der Stadt Köln“ erschienen. Auf fast 500 Seiten schildern Sie die Zeit von 1815-1871. Das Kölner Stadtbild weist noch Spuren der preußischen Zeit auf, allein die Kölner scheinen sich an diese Zeit nicht so gern zu erinnern. Oder täuscht dieser Eindruck?
Dr. Herres: Nun, immerhin lebt diese Zeit nicht zuletzt in Klischees weiter, insbesondere in dem Klischee des ausgelassenen und aufmüpfigen Rheinländers, der sich gegen preußische Strenge zur Wehr setzte. Insgesamt geht es den Kölnern aber nicht anders als uns allen. Das 19. Jahrhundert war als Jahrhundert der industriellen Revolution und der Nationalstaatsbildung in weite Ferne gerückt, lange vor dem Fall der Berliner Mauer. Durch die Globalisierung und die europäische Einigung beginnt sich unser Blick auf diese Zeit wieder zu verändern. Wir sehen nun, wie sich über eine politische und wirtschaftliche Doppelrevolution hinaus eine erste moderne Globalisierungswelle vollzogen hat. So steht uns heute diese Epoche raschen Wandels und damit einhergehend großer Umbrüche und Widersprüchlichkeiten in vieler Hinsicht näher als das 20. Jahrhundert, das Jahrhundert der Extreme.
Die Dom- und Rheinstadt, drittgrößte preußische Stadt nach Berlin und Breslau, stieg zwischen Biedermeier und Reichseinigung wieder zu einer Westdeutschland prägenden Metropole auf. Aus der flächenmäßig kleinsten deutschen Großstadt wurde die flächenmäßig größte. Ein wichtiger Finanzplatz und Verkehrsknotenpunkt, eine wichtige Dienstleistungs- und Handelsstadt, eine wichtige Presse- und Gerichtsstadt, aber auch ein wichtiger Industriestandort mit einem breitgefächerten produzierenden Gewerbe. Als Mittelpunkt eines den größten Teil der nördlichen Rheinprovinz umfassenden katholischen Erzbistums stellte Köln seit 1825 ein Zentrum des deutschen Katholizismus dar. Kölner Ereignisse – wie insbesondere die zum Begriff gewordene Verhaftung des Kölner Erzbischofs Droste zu Vischering am 20. November 1837, der erste preußische Kulturkampf, – erschütterten Deutschland.
Und diese Entwicklung war überhaupt nicht vorhersehbar gewesen. Denn als 1794 die französischen Revolutionstruppen in die katholische Reichsstadt einrückten, galt Köln als Musterbeispiel selbstverschuldeter Rückständigkeit. Reiseschriftsteller beschrieben sie als eine Stadt voller „unverschämter Bettler, scheinheiliger Pfaffen und gieriger Huren“, als „häßlichste Reliquie des Mittelalters“.
Bild: Dr. Herres