L.I.S.A.: Über Max von Baden ist schon viel geschrieben worden. Konnten Sie auf neues Quellenmaterial zurückgreifen? Auf welches? Und wie verändert das neue Material den Blick auf Max von Baden?
Prof. Machtan: Viel gesichertes Wissen über den Endzeitkanzler hat es bislang nicht gegeben – eine vollgültige wissenschaftliche Biographie schon gar nicht. Doch das, was vorlag, war genug, um das Erkenntnispotenzial zu erahnen, das in der Vita dieser Übergangsfigur schlummert. Mein Ehrgeiz war es, diese Möglichkeit empirisch zu erschließen. Leider hält das Haus Baden die Nachlass-Papiere dieses Vorfahren bis heute unter Verschluss. Das machte es zu einem äußerst aufwendigen Geschäft, die historische Lebenswirklichkeit detailliert zu rekonstruieren. Aber auch zu einer wissenschaftlichen Herausforderung, der ich mich gerne stellte. Mit großem Forschungsaufwand habe ich in allen möglichen Archiven nach Materialien gesucht, die die vorenthaltenen Dokumente entbehrlich machen. Insbesondere nach sog. Ego-Dokumenten. Also Quellen, die etwas über das persönliche Leben des Helden preisgeben, etwas über seine Gefühle und Vorstellungen erzählen. Ich habe für diese Recherchen mehr als drei Jahre gebraucht. Bevor ich überhaupt ans Schreiben denken konnte. Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Denn es gibt sie – diese Zeugnisse. Etwa in Gestalt umfangreicher Korrespondenz mit seinen Intimfreunden Prinz Ludwig von Baden, Ernst zu Hohenlohe-Langenburg, Johannes Müller, Axel Munthe, Houston Steward Chamberlain; aber auch mit seiner mütterlichen Freundin Cosima Wagner oder seiner Cousine Victoria, der späteren Königin von Schweden. So konnte dieses Leben jetzt endlich in ein sicheres Licht treten. Und was man da sieht, das ist der Rohstoff für eine ganz große tragische Geschichte; die Geschichte einer epochal gescheiterten Schlüsselfigur der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Das Faszinierendste an meiner Entdeckung ist für mich die Stärke von Max‘ Schwäche. Schwäche aber nicht als Ausdruck eines Charaktermangels, sondern als Ausdruck einer Haltung. Diese Erkenntnis verdeutlicht über die Ereignisse des Jahres 1918 hinaus, dass es sehr wohl auf die Menschen ankommt, die über politische Gestaltungsmacht verfügen. Und dass sich deren konkreter politischer Handlungsspielraum keineswegs allein aus objektiven politischen Gegebenheiten, aus Sachzwängen rekrutiert. Sondern eben auch aus deren subjektiver Weltsicht, aus Erfahrungen und sozialen Bindungen. Schließlich nicht zum wenigsten aus Befangenheiten, Besorgnissen, Hemmungen. Ich glaube nach diesem Buch mehr denn je, dass es lohnt, noch einmal neu über das Verhältnis von Biographie und Politikgeschichte nachzudenken, über Akteure als Katalysatoren historisch-politischen Wandels.