L.I.S.A.: Betrachtet man Bilder aus der Zeit der Renaissance, des Barock und des Rokoko, fällt auf, dass die dargestellten Figuren oft Kleidung tragen, die ahistorisch anmutet. Es entsteht dabei möglicherweise der Eindruck, die Maler hätten kein Wissen von der Geschichte gehabt oder der Kleidung keine Bedeutung beigemessen, die jenseits eines Parergons hinausreicht. Sie zeigen nun, dass die künstlerische Darstellung von Kleidung insbesondere im Historienbild Tiepolos alles andere als zufällig oder unbedeutend war. Woran machen Sie das fest?
Dr. Korte: In den Gesellschaften der Frühen Neuzeit allgemein und insbesondere an den Höfen und im venezianischen Adel, in deren Auftrag Künstler wie Tiepolo arbeiteten, war es von größter Wichtigkeit, wer wann welche Kleidung trug, denn das konnte von entscheidender sozialer oder politischer Bedeutung sein. Dies schlägt sich zum Beispiel in der historischen Literatur zu höfischen Umgangsformen oder in Luxusgesetzen nieder, die mehr oder weniger erfolgreich versuchten, eine eindeutige visuelle Repräsentation der bestehenden sozialen Ordnung durch Kleidervorschriften sicherzustellen. Status, Rang und Macht wurden durch Insignien, Uniformen und modische Kleidung visualisiert. Vor diesem Hintergrund einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber der symbolischen Macht von Kleidung ist auszuschließen, dass Künstler und Auftraggeber die gemalte Kleidung als ein zu vernachlässigendes Detail angesehen hätten - vor allem in repräsentativen Kunstwerken, die in Palästen und Kirchen an zentraler Stelle angebracht waren.
Dass heutige Betrachter einen gegenteiligen Eindruck haben können, liegt daran, dass sich die Bedeutung von einzelnen vestimentären Zeichen und die Vorstellungen der Kleidergeschichte gewandelt haben und wir mit unseren heutigen Assoziationen nicht ohne Weiteres in der Lage sind, die historischen Bedeutungshorizonte von Kleiderbildern in ihrer Differenziertheit zu verstehen. Diese können jedoch mithilfe einer Kombination von kleider- und modegeschichtlichen und kunsthistorischen Methoden zumindest stellenweise rekonstruiert werden, wie ich dies an Tiepolos Bildern unternommen habe. Ich möchte zeigen, dass er in vielen seiner Historienbilder Kleidung als zentrales Bildargument einsetzt, um Aussagen über Zeit und Geschichte zu machen, die wiederum im Dienst politischer Programme stehen. Es ist in einigen Werken nachvollziehbar, dass Tiepolo seine malerischen Kostümentwürfe auf modegeschichtlichen Recherchen aufbaute, indem er Kostümbücher, zum Beispiel Cesare Vecellio, oder historische Modestiche verwendete, um seinen Kleiderbildern einen gewissen Anspruch an historische Authentizität zu verleihen. Gleichzeitig sind die Silhouetten und Details jedoch auch subtil dem Geschmack seiner eigenen Zeit angepasst. Das gebildete Publikum des 18. Jahrhunderts in Venedig, Würzburg oder Madrid verstand und schätzte diese Vielschichtigkeit der Kostümregie Tiepolos.