Wenn in Nachrichtenmeldungen, Reportagen oder Kommentaren eine Behauptung untermauert werden soll, folgt in der Regel eine Statistik. Zahlen, Säulen oder Kuchenstücke beweisen die Richtigkeit der These, verleihen ihr Objektivität, so die Erwartung. Überraschend daran ist, dass sich diese Praxis hält, obwohl das Misstrauen gegenüber Statistiken bisweilen hoch ist. Mit Statistik ließe sich alles beweisen, außerdem sei nur der Statistik zu trauen, die man selbst gefälscht habe, so landläufige Vorstellungen. Bereits der britische Politiker Leonard Henry Courtney hatte Ende des 19. Jahrhunderts behauptet: "There are three kinds of lies - lies, damned lies, and statistics". Und trotzdem sind Statistiken heute ein nicht wegzudenkender Teil unserer Informations-, Medien- und Wissensgesellschaft. Prof. Dr. Andreas Quatember von der Johannes Kepler Universität in Linz hat sich die Verwendung von Statistiken in den Medien genauer angeschaut und darüber ein Buch veröffentlicht. Wir haben ihn dazu befragt.
"Manchmal mangelt es durchaus am Grundverständnis"
L.I.S.A.: Herr Professor Quatember, Sie haben ein Buch zum Thema Statistik in den Medien geschrieben, das den Titel „Statistischer Unsinn. Wenn Medien an der Prozenthürde scheitern“ trägt. Läuft denn bei der Verwendung von Statistiken so viel schief?
Prof. Qautember: Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Denn im konkreten Buch befinden sich klarerweise ausschließlich Beispiele für Statistiken, die falsch verwendet, berechnet oder interpretiert wurden.
L.I.S.A.: Was ist beispielsweise an folgender Meldung unsinnig: „Bis zu 630 Prozent Differenz bei den Kindergartengebühren stellte der Rechnungshof fest. So kostet der Elternbeitrag zwischen 36 und 263 Euro im Monat! Für die Knirpse fehlen außerdem Betreuungsplätze. Dafür leistet sich die Politik den Luxus von zwei Abteilungen für ein Ressort.“ Rechnerisch scheint doch alles in Ordnung zu sein, oder?
Prof. Quatember: Nun rein rechnerisch ist tatsächlich nichts falsch, denn 263 Euro sind im Vergleich zu 36 Euro (= 100 Prozent) tatsächlich um ca. 630 Prozent mehr, nämlich 263 : 36 * 100 = 730,6 Prozent. Aber Prozentangaben dienen doch der Veranschaulichung. Wenn von einer Gruppe von 142 Personen 44 eine bestimmte Eigenschaft aufweisen, dann kann man sich das dadurch veranschaulichen, dass man sich überlegt, wie viele von 100 Personen dies sein würden. Das sind 44 : 142 * 100 = 31 Prozent (lat.: „von hundert“).
Ist es nun wirklich anschaulicher zu sagen, dass die Gebühren bis zu 630 Prozent Differenz aufweisen als einfach anzugeben, dass sie zwischen 36 und dem 7,3-fachen, nämlich 263 Euro, schwanken? Die prozentuelle Angabe der Differenz scheint für diesen Zweck doch eh ungeeignet zu sein.
L.I.S.A.: Wo liegt der Fehler bezeihungsweise das Problem? Sind es die Statistiken, die falsch erstellt werden, oder sind es die Medien, die sie falsch verstehen beziehungsweise interpretieren?
Prof. Quatember: Manchmal mangelt es durchaus am Grundverständnis. Wenn zum Beispiel behauptet wird, dass 4 von 10 Beschenkten oder jeder Vierte mit den Weihnachtsgeschenken unzufrieden ist oder dass ein Rückgang bei den männlichen Arbeitslosen um 13,7 und bei den Frauen um 10,3 Prozent einen Gesamtrückgang um 24,0 Prozent bedeutet, dann sind das leicht vermeidbare Fehler, sofern man bereit ist, sich nur ein wenig mit Statistik zu befassen. Die Schuldigen an der Misere sind sowohl Anwender, deren Methodenverständnis sich auf das Eintippen der richtigen Funktionen in Excel reduziert, Mathe-Lehrer an Schulen, die ihr Fach nicht so vermitteln, dass Schüler auch ein Zahlengefühl entwickeln, und nicht zuletzt auch Universitätsstatistiker (wie ich), wenn sie die Methodik nicht so erklären (wollen), dass alle ihre Studierenden sie auch verstehen können.