L.I.S.A.: Was genau bedeutet im Untersuchungsgegenstand "alternative Nachrichtenmedien" der Begriff "alternativ"? Wie lautet das Selbstverständnis alternativer Nachrichtenmedien? Sie entwickeln dazu in Ihrer Arbeit eine typologische Unterscheidung. Könnten Sie diese bitte kurz erläutern?
Dr. Schwaiger: Ich definiere alternative Nachrichtenmedien als jene Medien, die sich selbst als vierte Gewalt positionieren und demzufolge die herrschende Politik und leitenden Medien (also den sogenannten «Mainstream») kritisieren und kontrollieren. Sie nehmen in diesem Zusammenhang eine gegenöffentliche Position ein, die sich in unterschiedlicher Weise äußert. Mir war es äußerst wichtig, einen differenzierten Blick auf Alternativmedien zu werfen, da sie aktuell in der Forschung vorwiegend im Kontext Verschwörung, Desinformation und Rechtspopulismus diskutiert werden. Die Wurzeln alternativer Medien liegen aber sehr viel früher, ein gutes Beispiel hierfür ist die Alternativpresse der neuen sozialen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre.
Meine typologische Unterscheidung basiert auf einer empirischen Analyse der Websites von alternativen Onlinemedien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es resultierten vier Typen alternativer Nachrichtenmedien, die sich anhand ihres journalistischen Selbstverständnisses, ihren Themen und ihrer visuellen Aufbereitung voneinander unterscheiden. Typ I wird als «Aufdecker der Mainstreamlügen» bezeichnet. Die Medien sehen sich selbst als Media-Watchdogs, die insbesondere die vermeintlichen «Lügen» des Mainstreams (Stichwort: Lügenpresse) aufdecken wollen. Ihre thematischen Schwerpunkte sind neben einer grundsätzlichen Medienkritik z. B. auch Migrations- und Genderkritik oder Kritik an links positionierter Politik. Typ II, bezeichnet als «Verschwörung und Spiritualität», sieht sich selbst als Geheimnislüfter. Im Zentrum stehen dabei Weltverschwörungen, die es gilt, aufzudecken, aber auch esoterische und spirituelle Themen. Typ III, der als «Aufstand der Zivilgesellschaft» bezeichnet wird, kann am besten mit den sozialen Bewegungen der 1960er und 70er Jahre verglichen werden. Medien dieses Typs sehen sich selbst als Stimme der Zivilgesellschaft und setzen sich thematisch für soziale Gerechtigkeit ein. Kritisiert werden demnach auch Kapitalismus und die herrschenden Eliten. Typ IV, «Die seriöse Alternative», ist geprägt von einem demokratisch fundierten Idealismus. Es handelt sich dabei häufig um junge Medienstartups, die sich für relevanten Journalismus einsetzen und die Kommerzialisierung des Mediensystems kritisieren. In Summe zeigt sich, dass alle vier Typen unterschiedliche Ziele und Motive verfolgen – ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist die Abgrenzung von etablierten Medien, allerdings in äußerst unterschiedlicher Weise.