Von Geburtenkontrolle zu reproductive justice, von Menschenrecht bis Eugenik. Kaum ein Feld ist im öffentlichen Diskurs so von Kampfbegriffen und verhärteten Fronten geprägt, wie das der Familienplanung: Die Bilder der Proteste gegen den Texas Heartbeat Act, das schärfste Abtreibungsgesetz der USA, gingen um die Welt, aber auch in Deutschland kam es zu landesweiten Protesten gegen den Strafgesetzbuchparagraphen 219a. Als hochpolitisches und gleichzeitig äußerst privates Thema wirkt die Familienplanung als Brennglas sozialer Aushandlungsprozesse. Dr. Claudia Roesch forscht am DHI in Washington DC zu diesem Komplex und hat soeben ihr neues Buch „Wunschkinder. Eine transnationale Geschichte der Familienplanung in der Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht. Wir haben Sie gefragt, wie sich Individuum und Gesellschaft, Rasse, Religion und Politik in diesem Spannungsfeld treffen.
"Die Frage, wie das „Kinderkriegen“ eigentlich zu etwas Entscheidbaren wurde"
L.I.S.A.: Frau Dr. Roesch, Sie haben sich in Ihren Forschungen intensiv mit der Geschichte der Familienplanung in Deutschland und den USA auseinandergesetzt und soeben Ihr neues Buch „Wunschkinder. Eine transnationale Geschichte der Familienplanung in der Bundesrepublik Deutschland“ veröffentlicht. Bevor wir über Einzelheiten sprechen, was hat Sie dazu bewogen, sich dieses Themas anzunehmen?
Dr. Roesch: Ich bin in meiner Dissertation, in der es um mexikanischen Einwandererfamilien in den USA ging, über den Satz eines amerikanischen Soziologen gestolpert, der sinngemäss sagte, amerikanische Eltern planen ihre Familien, für mexikanische Eltern hingegen sind viele Kinder ein Geschenk Gottes. Davon ausgehend stellte ich, als ausgebildete Kulturhistorikerin, mir die Frage, ab wann wurde Familie eigentlich etwas Planbares? Zufällig erfuhr ich dann, dass am historischen Seminar der Universität Münster ein Sonderfroschungsbereich zum Thema „Kulturen des Entscheidens“ geplant wurde, und meine Dissertationsbetreuerin Isabel Heinemann und ich dachten beide, dass die Frage, wie das „Kinderkriegen“ eigentlich zu etwas Entscheidbaren wurde, sehr gut in den neuen SFB passen würde. Zum Glück dachten das Steering Committee des SFB und die DFG-Gutachter genauso und ich konnte auf einer Postdoc-Stelle im SFB mit dem Buchprojekt beginnen. Das Buchmanuskript konnte ich dann am DHI Washington fertigstellen.