In den Vereinigten Staaten von Amerika haben die Bilder von der brutalen Festnahme eines Mannes, die tödlich endete, spontan zu Aufruhr, Plünderungen und Protesten geführt. In einigen Kommentaren war bereits von revolutionären Verhältnissen die Rede. Ob sich diese Einschätzung bewahrheitet, daran scheiden sich derzeit die Geister. Einen unmittelbaren Zusammenhang scheint es indes zwischen Revolutionen und Spontanität zu geben. Ein Blick in die Geschichte bestätigt diese Annahme insofern, als dass viele Revolutionen weder geschichtlich notwendig noch von langer Hand geplant waren, sondern sich oft spontan entlang kleinerer und auf den ersten Blick relativ unbedeutender Ereignisse entzündeten. Spontanes Handeln und die Spontaneität revolutionären Handelns sind dabei allerdings nicht in eins zu setzen - so jedenfalls die These der Philosophin Dr. Mareike Kajewski von der Universität Hildesheim. Wie das genau zu verstehen ist, dazu haben wir ihr auch mit Blick auf die gegenwärtige Coronakrise unsere Fragen gestellt.
"Die Grundlage der Möglichkeit zur Freiheit untersuchen"
L.I.S.A.: Frau Dr. Kajewski, Sie haben infolge Ihrer Dissertation ein Buch mit dem Titel "Die Spontaneität revolutionären Handelns" veröffentlicht. Welches Erkenntnisinteresse lag Ihrem Projekt zugrunde? Welche Überlegungen gingen der Forschungsarbeit voraus?
Dr. Kajewski: Ich habe mich immer dafür interessiert, zu verstehen, wie und ob es möglich ist, anders zu handeln. Anders meine ich hier im Sinne von: anders als eine eingeübte Gewohnheit oder gelernte Verhaltensweisen. Wie ist das möglich? Wann und warum begehren Menschen in despotischen politischen Systemen oder in Verhältnissen, in denen sie unterdrückt sind oder Ungerechtigkeit erfahren, auf? Hier scheint es, so meine Ausgangsannahme, keine objektiven Anzeichen oder Parameter zu geben, an denen sich zeigt, wie und wann es zu einer Revolution kommt.
Von diesen Fragen und Einsichten ausgehend fing ich an, das politische Handeln und seine Grundlagen in den Blick zu nehmen. Wenn es keine objektiven Gesetzmäßigkeiten sind, die zu einem Handeln führen, dann muss es etwas im Handeln sein, das die Menschen über ihre Möglichkeit zur Freiheit informiert. Statt eine Notwendigkeit von Revolutionen an bestimmten Punkten in einer Gesellschaftsentwicklung zu diagnostizieren oder in geschichtlichen Prozessen Notwendigkeiten zu erkennen, schien es mir sinnvoller, die Grundlage der Möglichkeit zur Freiheit zu untersuchen. Hierdurch kam ich von der Frage „Was ist eine Revolution?“ als eine Frage, die eher auf ein strukturelles Großereignis abhebt, zu der Frage: „Was ist revolutionäres Handeln?“ in seiner Eigendynamik und als eine Dimension menschlichen Handelns.
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Sie, Frau Dr. Kajewski, gehen gedanklich den Weg, den ich sehr interessant finde: Dass sich revolutionäre neue Ideen, als wirkmächtig erleben, um danach in Dialog zu treten mit den herrschenden globalen Wirtschafts- und Politik-Systemen. Sollten Letztere zum Dialog bereit sein, was sie grundsätzlich auch sind - denn neoliberale Wirtschaftssysteme brauchen neue Märkte, um ihre Produkte zu verkaufen - dann werden sich die anfangs spontanen Veränderungswünsche vielleicht sehr schnell als "cooler new wave" wieder finden. Wieviel dann an "neuen Ideen" inhaltlich übrig geblieben ist, wird sich zeigen. So funktionieren friedliche System-Veränderungen und eine gelebte Demokratie, wie wir sie in der BRD haben, packt das an.
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Eine Revolution in einer Demokratie ist ist IMMER Unrecht, da sie lediglich die Ansichten einer Minderheit über die Ansichten der Mehrheit durchsetzen will. Ansonsten würde die "revolutionäre Meinung" ja mehr als 50% in Wahlen gewinnen.
Ich verstehe die auch hier durchschimmernde romantische Verklärung (hier mit dem Subkontext der Spontanität) von Revolutionen in Demokratien nicht. Am Ende ist nämlich eine Meinung, die nicht die Mehrheitsmeinung ist, nur durch Mauern, Stracheldraht und Bajonette durchsetzbar. Und das hatten wir doch alles schon, wenn ich mich recht erinnere.