Bis zum Sommer 2022 gehen wir auf Spurensuche an den Grabtextilien aus dem Sarg des Trierer Bischofs Paulinus, der im Jahr 358 unter kaiserlicher Verbannung in der Region Zentralanatoliens verstarb und kurze Zeit später von seinen christlichen Anhängern in seine heutige Grabstätte, die Krypta von St. Paulin in Trier, überführt wurde.
Der stille Gast …im Dornröschenschlaf
Bereits in unserem zweiten Blogbeitrag hatten wir über die Notwendigkeit einer Befeuchtung der Seiden berichtet und dabei auch die möglichen Risiken einer solchen Behandlung thematisiert. Tatsächlich entwickelte sich auf einigen Textilfragmenten während ihrer Behandlung im Klimazelt mikrobieller Befall: Unter mikroskopischer Vergrößerung waren plötzlich zarte, verzweigte Gespinste erkennbar, die sich interessanterweise ausschließlich auf Fragmenten mit eingewebten Wollfäden ausgebildet hatten (Bilder 1 und 2). Was nun? Woher kommt der Schimmel? Haben wir einen stillen „Schläfer“ geweckt? Welche Auswirkungen hat der Befall auf Textilien? Müssen wir handeln – und wenn ja, wie?
Was sind Schimmelpilze?
Pilze sind Mikroorganismen mit Zellkern, denen Chlorophyll zur Photosynthese fehlt. Sie sind deshalb auf organische Kohlenstoffe angewiesen, um zu wachsen und sich zu vermehren. Schimmelpilze beseitigen organische Rückstände und tragen zur Humusbildung bei. Ihre Stoffwechselleistungen werden technologisch und medizinisch genutzt, können aber auch Organismen und Materialien schädigen. Sie sind überall verbreitet – einige Gattungen sogar weltweit in Form von Bioaerosolen in der Luft.
Der Mikro-Bauplan: Myzel, Hyphen, Konidien
Beim Wachstum eines Pilzkörpers bilden die Hyphen ein Geflecht, das in seiner Gesamtheit als Myzel bezeichnet wird. Das Myzel dringt in das Substrat ein und ernährt den gesamten Zellverband. Das sogenannte Luftmyzel (mit dem Konidiophor) trägt die als Konidien bezeichneten Fruchtkörper mit den Sporen.
Unsichtbare Schläfer und pelzige Kugeln
Eingekapselte Schimmelsporen können über Jahrhunderte lebensfähig bleiben, was bei Funden aus Grabkontexten häufig zu Problemen führt. Schon bei 18°C und erhöhter Luftfeuchtigkeit kann eine Reaktivierung solcher Sporen ausgelöst werden. Ab 70% relativer Luftfeuchtigkeit und 25-35°C wachsen Pilze am besten. In diesen Bereichen bewegten sich auch die Feuchtigkeitswerte in unserem Klimazelt, sodass vermutlich Sporen aus einem vielleicht jahrhundertelangen Dornröschenschlaf reaktiviert wurden.
Auf einigen Seidenfragmenten hatten wir tatsächlich schon vor der Befeuchtung die Überreste eines antiken Befalls in Form mikroskopisch kleiner, schwarzer „Pelzkugeln“ entdeckt (Bild 4). Allerdings wurden diese nicht durch unsere Befeuchtung reaktiviert und der neu entdeckte Befall steht nicht in Verbindung mit diesen Rückständen. Überreste solcher pelzigen Fruchtkörper finden sich relativ häufig in antiken Gräbern und können der Gattung Chaetomium sp. zugeordnet werden (Bild 5).
Lieber Wolle als Seide?
Dass sich die Pilzmyzelien an den Paulinus-Textilien hauptsächlich auf Wollfäden und nur geringfügig auf Seidenfäden ausgebreitet haben, kann an den unterschiedlichen Eigenschaften von Wolle und Seide liegen, obwohl beide grundsätzlich aus Proteinen bestehen. Die Widerstandsfähigkeit von Proteinfasern gegenüber mikrobiellem Befall wird beispielsweise bestimmt durch…
- …die innere Faserstruktur: Je mehr geordnete, kristalline Bereiche eine Faser enthält, desto widerstandsfähiger ist sie gegenüber biochemischen Angriffen. Wolle ist weniger kristallin als Seide strukturiert (zur Mikrostruktur von Seide siehe Bild 1 im Blogbeitrag N° 2) und weist deutlich mehr amorphe Bereiche auf, was außerdem eine höhere Hygroskopizität bewirkt (siehe Bild 6).
- …die Hygroskopizität: Das Wasseraufnahmevermögen von Wolle ist aufgrund der vielen amorphen Bereiche höher als bei Seidenfasern. Das bietet Bakterien und Pilzen ideale Bedingungen für ihr Wachstum.
- …die äußere Faserstruktur: Die Schuppenstruktur von Wolle bzw. Haaren (siehe auch die Bilder im letzten Blogbeitrag) bietet Bakterien und Pilzen deutlich mehr Angriffsfläche als die nahezu strukturlosen, glatte Seidenfasern.
Müssen wir überhaupt (be-)handeln?
Aktive Schimmelpilze führen zu chemischen und physikalischen Veränderungen der betroffenen Objekte. Sie können beispielsweise zu Fleckenbildung, einem niedrigeren pH-Wert und Faserabbau führen. Das ganze Ausmaß eines mikrobiellen Befalls wird an Textilfasern mitunter erst bei einem Blick auf die Mikrostrukturen deutlich. Trotz der prinzipiell höheren Widerstandfähigkeit von Seide im Vergleich zu Wolle, können auch Seidenfasern unter bestimmten Umständen massiv geschädigt werden, wie die folgenden Beispiele zeigen (Bilder 7-11).
Nicht nur die Objekte sind bei einem aktiven Schimmelpilzbefall gefährdet. Ein längerer Kontakt bei erhöhten Konzentrationen kann bei Menschen sogenannte Mykosen in Form von Allergien, Vergiftungen und Infektionen auslösen. Der Großteil der Schimmelpilzgattungen ist nur gering krankheitserregend für den gesunden Menschen. Es gibt jedoch auch solche, die letale, also tödliche, Erkrankungen auslösen können, z.B. Schimmelpilze der Gattungen Aspergillus niger, Aspergillus fumigatus und die meisten Jochpilze (Zygomycota). Aufgrund des sehr geringen Befalls auf nur wenigen Textilfragmenten haben wir keine weiteren Untersuchungen zur Identifizierung der Pilzgattung vorgenommen. Generell kommen auf Kunst- und Kulturgütern vor allem Schimmelpilze der Gattungen, Alternaria, Aspergillus, Chaetomium, Cladosporium, Penicillium vor.
Behandlungsmöglichkeiten
Die Möglichkeiten zur Entfernung bzw. Deaktivierung von mikrobiellem Befall lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen – keimfreie und keimarme Behandlung – einteilen, wobei nur die letztere für Kunst- und Kulturgüter eingesetzt wird.
- Bei der keimfreien Behandlung werden sämtliche Keime unter Einsatz von Strahlung oder chemischer Biozide effektiv abgetötet, allerdings führt dies zu chemischen und physikalischen Veränderungen am befallenen Material und wird daher nicht in der Restaurierung eingesetzt. Dazu zählen:
- Physikalische Sterilisation durch Gammabestrahlung
- Sterilisation durch Ethylenoxidbegasung
- Die keimarme Behandlung umfasst die Desinfektion mit Alkoholen – insbesondere Isopropanol und Ethanol werden dafür in der Restaurierung am häufigsten eingesetzt.
Unser Vorgehen
Die betroffenen Textilfragmente wurden nach Entdeckung des Schimmels sofort separiert und in insgesamt drei Zyklen, in Intervallen von zunächst fünf und dann drei Tagen, mit einem Gemisch aus 70% Ethanol und 30% demineralisiertem Wasser behandelt (Bilder 12-13). Der Wasseranteil ist notwendig, um das flüchtige Lösemittel in die Faser zu transportieren und das Pilzgeflecht vollständig zu benetzen. Die zyklische Behandlung bewirkt eine nachhaltige Deaktivierung keimfähiger Sporen (Drewello 2005).
Nach dieser Behandlung konnten wir kein weiteres Schimmelwachstum an den Textilfragmenten feststellen und auch das vorher sichtbare Myzelium ist fast vollständig verschwunden (Bild 14). Um eine erneute Reaktivierung eventuell noch vorhandener Sporen zu vermeiden, werden die Textilien bei einer Luftfeuchtigkeit von maximal 55% gelagert, da sich Schimmelwachstum erst ab einer Luftfeuchtigkeit von mindestens 60% ausbildet.
Erste Hilfe bei Schimmelbefall
Abschließend noch ein paar Tipps und Adressen für den Fall der Fälle:
- Selbstschutz geht vor – Beim Umgang mit Schimmel am besten Schutzausrüstung (Masken, Schutzanzug/Kittel und Handschuhe) tragen.
- Ab ins Gefrierfach – Für einen sofortigen Stopp weiteren Schimmelwachstums sorgt eine temporäre Deponierung im Gefrierfach.
- ExpertInnen hinzuziehen – Für alle Fragen rund um Schimmelbefall hier ein paar Links zu entsprechenden Institutionen:
Der nächste Blogbeitrag wird vorerst der letzte in dieser Reihe, denn der Ausstellungsaufbau für die Trierer Landesausstellung zum Untergang Roms rückt immer näher und alles rund um Paulinus wird ein wichtiger Bestandteil im Ausstellungsteil des Museums am Dom. Für unseren Abschluss haben wir ganz ungefährliche, aber interessante Gäste – ohne Hyphen und Sporen – eingeladen!
Literatur
- G. Caneva/ M.P. Nugari/ O. Salvadori, Plant Biology for Cultural Heritage, Los Angeles (2008)
- U. Drewello/ R. Drewello, Die Schläfer im Depot. Schimmelpilze warten auf das Wasser. In: Restauro 6 (2005), 440-448.
- W. Mücke/ C. Lemmen, Schimmelpilze: Vorkommen, Gesundheitsgefahren, Schutzmaßnahmen. Landsberg am Lech (2004)
- J. Reiß, Schimmelpilze. Lebensweise, Nutzen, Schaden, Bekämpfung. Heidelberg (1986).