Bis zum Sommer 2022 gehen wir auf Spurensuche an den Grabtextilien aus dem Sarg des Trierer Bischofs Paulinus, der im Jahr 358 unter kaiserlicher Verbannung in der Region Zentralanatoliens verstarb und kurze Zeit später von seinen christlichen Anhängern in seine heutige Grabstätte, die Krypta von St. Paulin in Trier, überführt wurde.
Aktuell stehen wir allerdings vor einer anderen Herausforderung: Die entfalteten Seidenfragmente sind so fragil wie Schmetterlingsflügel.
Das Entfalten und Glätten der Seidenfragmente funktioniert mit unserer Strategie nahezu problemlos. Auch in der Erfassung der textiltechnologischen Merkmale folgen wir klar definierten Parametern und unsere Datenbank füllt sich. Aktuell stehen wir allerdings vor einer anderen Herausforderung: Die entfalteten Seidenfragmente sind so fragil wie Schmetterlingsflügel. Sie warten nun unter provisorischen Glasabdeckungen – kleine Mikroskopie-Objektträger – (Abb. 1) auf eine Langzeitarchivierung bzw. Konservierung, bei der die kostbaren Zeugnisse so wenig wie möglich verändert werden sollen. Einige Gewebestücke liegen in fast malerischer Fragmentierung unter den Glasplättchen: Zahlreiche winzige Puzzleteile bilden ein ursprünglich zusammenhängendes Gewebestück, ein bisschen so wie die Eissplitter einer „zerbrochenen“ Winterpfütze. Wie können wir diesen Zustand ohne Eingriffe und Veränderungen an der Originalsubstanz konservieren oder „einfrieren“?
Heute geht es einerseits um das Aufhalten gravierender Alterungsprozesse und andererseits um das künstliche Beschleunigen von Alterungsprozessen, was uns bei der Auswahl geeigneter Verpackungsmaterialien hilft.
Können wir Alterungsprozesse stoppen?
Im Moment sind die Textilien noch mit Glasplättchen abgedeckt (Abb. 1) – kann das auch für eine dauerhafte Aufbewahrung funktionieren? Tatsächlich wurden vor allem in früheren Jahren Textilien häufig zwischen Glas montiert und senkrecht ausgestellt. Ein Beispiel dafür sind die im 19. Jahrhundert in einem Glasrahmen ausgestellten Textilien aus dem Paulinusgrab, die wir auf unserer Exkursion nach Trier im Museum am Dom untersucht haben (Paulinus Blog N° 3, Bild 18).
Pressure Mounts
Diese Montagen zwischen Glas (engl. pressure mounts) haben entscheidende Vorteile gegenüber anderen Sicherungsmethoden, wie zum Beispiel klebe- oder nähtechnische Verbindungen der Originale mit einem Trägerstoff: Es sind keine invasiven, substanzverändernden Eingriffe notwendig und die Objekte bleiben von beiden Seiten sichtbar. Allerdings kann der Druck der Glasplatten auf Dauer die Dreidimensionalität der Textilobjekte beeinträchtigen. Insbesondere bei Textilien aus archäologischem Kontext bilden sich innerhalb solcher Montagen mitunter weiße Beschläge auf den Glasinnenseiten. Untersuchungen haben gezeigt, dass es sich dabei um unterschiedliche Substanzen im Textil oder Montagebestandteilen (z.B. Karton, Holz) handeln kann, die durch klimatische Schwankungen reaktiviert werden und an die Glasoberfläche migrieren.
Klima als Katalysator
Entscheidend für die Dynamik von Alterungsprozessen ist also das Klima. Insbesondere Schwankungen der relativen Luftfeuchtigkeit können eine Vielzahl von Kettenreaktionen in Gang setzen. Ideal für die Konservierung historischer Objekte sind daher kontrollierte und stabile klimatische Bedingungen. Da sich dies nicht immer vollständig umsetzen lässt, dienen Objektverpackungen in der Regel nicht nur dem Schutz vor Staub und Licht, sondern auch als Puffer gegen klimatische Einflüsse.
Hygroskopisch oder hydrophil?
Unterlagen aus Karton, Papier oder anderen hygroskopischen Materialien können beispielsweise Feuchtigkeitsschwankungen abpuffern. Wenn diese gering bleiben, können sie sogar die Ausbildung eines Mikroklimas innerhalb von pressure mounts verhindern. Eine Studie am Textile Conservation Centre der Universität Southampton zeigte übrigens, dass hydrophile, also wasserabweisende Materialien, in solchen Montagen ebenso gut als Puffer eingesetzt werden können. Entscheidend bleiben also die stabilen Klimabedingungen und – wie immer – ein individuelles Abwägen der für das Objekt geeigneten Montage.
20 Jahre in zwei Tagen? – die künstlich beschleunigte Alterung
Wie können wir entscheiden, welches Material für die Verpackung von Objekten geeignet ist? Woher wissen wir, wie sich ein Material im Alter verhält und ob dadurch das verpackte Objekt geschädigt werden könnte? Verschiedene Prüfmethoden in den Konservierungswissenschaften und Nachbardisziplinen erlauben immerhin eine Annäherung und helfen bei der Entscheidungsfindung.
Oddy-Test
Eine der bekanntesten Prüfmethoden wurde in den 1970er Jahren von Andrew Oddy am British Museum in London entwickelt und ermittelt mit einem beschleunigten Korrosionstest die Emissionslast in Materialien aus musealem Kontext – wie zum Beispiel Vitrinen und Verpackungen. Der Test ist kostengünstig und wird in manchen Museen auch selbst durchgeführt. Die Reproduzier- und Vergleichbarkeit des Oddy-Tests ist bislang noch eine Herausforderung, der sich aktuell das Projekt MAT-CH (MATerial CHecker) oder über den Forschungsblog im Studiengang Konservierung und Restaurierung an der HTW Berlin widmet.
BEMMA-Schema
Die Bewertung von Emissionen aus Materialien für Museumsausstattungen(BEMMA) ist der einzige Materialtest der explizit für den Museumsbereich entwickelt wurde. Im heutigen Vitrinenbau ist eine hohe Dichtigkeit und die Abwesenheit von Fremd-bzw. Schadstoffen das gewünschte Ziel. Dabei hilft die Testung nach dem BEMMA-Schema, bei der die Materialien in Mikrokammern nach ihrem Belastungspotential untersucht und bewertet werden.
TDS-GC/MS
Ein drittes Verfahren lehnt sich an ein Bewertungsverfahrung aus der Automobilindustrie an, bei dem Emissionen nichtmetallischer KFZ-Werkstoffe analysiert werden. Das Termal Desorption System – Gas Chromatography / Mass Spectrometry (TDS-GC/MS) kann ergänzend zum BEMMA-Schema angewendet werden und lässt sich in jedem Labor durchführen.
Materialauswahl zur Verpackung der Paulinusseiden
Wir suchen nach einem Verpackungssystem, das sich im Idealfall sowohl für die Deponierung, als auch für die Ausstellung der Textilien eignet. Neben Schutz vor Licht und Staub ist uns ein einfaches Handling wichtig sowie ein System aus möglichst wenig verschiedenen, aber inerten Materialien.
Bei der Firma KLUG Conservation finden wir die wichtigsten Basics:
Als Unterlage für die Seidenfragmente eignet sich ein Löschkarton mit griffiger Oberfläche dank eines hohen Anteils an Baumwollfasern (siehe Abb. 3 und 4). Auf der leicht faserigen Oberfläche verrutschen die aufliegenden Seidenfragmente nicht und sind somit optimal gesichert. Mit bloßem Auge ist die feine Fasertextur des Kartons jedoch nicht erkennbar und bildet somit einen neutralen Hintergrund. Zu Verarbeitung von Baumwollfasern in Konservierungskartons gibt es bei „KLUG zu wissen“ auch einen Wissensfolder für zusätzliche Hintergrundinformationen: Wissen Nr. 1 – Baumwoll- oder Holzzellstoff?
Als sehr stabile und dennoch leichte Unterlage für eine Montierung eignen sich Wellpappen, die bei KLUG Conservation in vielen unterschiedlichen Varianten und stets mit Qualitätsgarantie zur Alterungsbeständigkeit angeboten werden. Zur Beurteilung der Qualität von Wellpappen gibt es bei „KLUG zu wissen“ übrigens einen weiteren Wissensfolder: Wissen Nr. 9 – Wellpappen im Vergleich.
Erster Versuch zur Verpackung
Für die Konstruktion einer Aufbewahrung fragiler archäologischer Textilien finden wir eine interessante Sonderanfertigung der Fima KLUG Conservation für Fragmente eines bemalten ägyptischen Mumientuchs aus dem Ägyptischen Museum Berlin. Könnte das vielleicht auch für unsere Seidenfragmente so funktionieren? Wir probieren es aus!
Unser optimierter Prototyp
Unsere Idee war zunächst, diese Konstruktion für Ausstellungszwecke zu erweitern und dann die oberste Kartonlage mit Deckeln durch eine Glasauflage zu ersetzen, so dass die Textilfragmente weiterhin geschützt, in ihren „Fächern“ bleiben, aber sichtbar sind.
Für einige Seidenfragmente mit Verkrustungen, die vergleichsweise starr und stabil sind, würde dieses System gut funktionieren. Die Mehrheit der Seidenfragmente ist jedoch extrem fragil und widersetzt sich unseren mühevollen Glätt-Arbeiten im Klimazeit schon nach kurzer Zeit – Stichwort Faltengedächtnis. Durch diese eigenständige Rückformung stoßen die Textilfragmente dann mitunter an die Innenseiten der Kartonabdeckungen und bleiben beim Öffnen an den Deckeln haften.
Was tun? Nach vielen Überlegungen, Abwägungen und weiteren Versuchen finden wir eine dauerhafte Variante mit Glasabdeckung am geeignetsten: Die Textilfragmente sind geschützt, der Zustand jederzeit kontrollierbar und ein dauerhafter Lichteinfluss angesichts der Glasabdeckung ist durch Umverpackungen und Archivschränke ausgeschlossen.
Ausblicke
Abschließend stellen wir noch drei Materialien vor, die sich zur Verpackung oder Sicherung fragiler Objekte bestens eignen – insbesondere dann, wenn selbst der Allrounder Seidenpapier zu starr erscheint und kleine Knicke schon das Objekt schädigen könnten:
Ein bewährter Klassiker für langlebige Verpackungs- und Schutzmaßnahmen ist das in verschiedenen Ausführungen erhältliche Tyvek®-Vlies. Diese aus 100% Hochdruckpolyethylenfasern (HDPE) bestehenden Spinnvliese werden ohne zusätzliche Bindemittel und Füllstoffe produziert. Sie vereinen die besten Eigenschaften von Papier, Folie und Gewebe: Sie sind weich und flexibel, aber gleichzeitig reißfest und strapazierfähig, außerdem atmungsaktiv, pH-neutral, fusselfrei, antistatisch. Sie können verschweißt, verklebt, vernäht werden und sind abwaschbar.
Ähnliche Eigenschaften wie Tyvek®-Vlies hat das vor wenigen Jahren entwickelte Evolon®CR Vlies, das aber noch deutlich weicher und anschmiegsamer ist. Evolon®CR Vlies besteht aus einem Mikrofilament-Netzwerk ohne Bindemittel oder Füllstoffe. Beim Herstellungsprozess werden Polyester- und Polyamidgranulate mittels Hochdruck-Wasserstrahlen in endlose, sternenförmig strukturierte Mikrofilamente umgewandelt – wie hier mikroskopisch gut zu erkennen ist – und dabei so fest miteinander verknüpft, dass ein textiles Material entsteht. Die endlosen Mikrofilamente verhindern jegliche Fusselbildung im Gebrauch. Das Vlies ist atmungsaktiv, formstabil und sehr reißfest und wird vor allem als Verpackungsmaterial für sensible Objekte eingesetzt. Aufgrund seiner Lösungsmittelbeständigkeit und der hohen Adsorptionsfähigkeit eignet es sich außerdem zur Nass- und Trockenreinigung und als Kompressenstoff.
Japanpapier – so hauchzart wie die Flügel einer Eintagsfliege
Besonders gerne schauen wir unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Papierrestaurierung über die Schultern. Dort haben wir ein ganz besonderes Japanpapier kennengelernt – so hauchzart wie die Flügel einer Eintagsfliege! Tosa Tengujo, das vermutlich dünnste Papier der Welt, wird aus Kozo (Maulbeerbaumrinde) mit einem Flächengewicht von nur 1,6 g/qm hergestellt. Zum Vergleich: Standard-Druckpapier hat ein Gewicht von 80 g/qm. Dennoch sind diese Kozo-Papiere strukturell sogar stärker als westliche Zellstoff-Papiere. Könnte das für unsere „Schmetterlingsflügel“ nützlich sein? Wir werden es ausprobieren!
In unserem nächsten Blogbeitrag berichten wir von Spuren eines rätselhaften Gewebes aus dem Paulinus-Sarg, das ausnahmsweise NICHT aus Seide besteht. Also bis zum nächsten Mal!
Weiterführende Informationen
Verpackung und Aufbewahrung historischer Textilien
- Bayer, Preserving and Displaying Archaeological Garments via Pressure Mount. In: M. M. Brooks, D. D. Eastop (Hrsg.), Refashioning and Redress: Conserving and Displaying Dress. Los Angeles (2016), 79-92.
- Flecker, A Practical Guide to Costume Mounting. Oxford (2007).
- Kataoka, A Study of the Microenvironment within Pressure Mounts. In: F. Lennard/P. Ewer (Hrsg.), Textile Conservation: Advances in Practice, Oxford (2010), 245-254.
- Nockert/T. Wadsten, Storage of Archaeological Textile Finds in Sealed Boxes. Studies in Conservation 23 (1978), 38-41.
- Supports and Mounts of Textiles: Textile Wiki pages of the Textile Specialty Group of the American Institute for Conservation of Historic and Artistic Work (online-Zugriff). [https://www.conservation-wiki.com/wiki/Textiles]
- G. Weidner, Montierung textiler Objekte unter Glas: Zur Problematik der Entstehung von Belägen an der Innenseite von Schutzgläsern. In: S. Martius/S. Ruß (Hrsg.), Historische Textilien: Beiträge zu ihrer Erhaltung und Erforschung. Nürnberg (2002), 129-138.
Prüfverfahren für Schadstoffe im Sammlungskontext
BEMMA-Test
- Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung, Die emissionsarme Vitrine im Fokus: Beschreibung des Untersuchungs- und Bewertungsverfahrens BEMMA (online-Zugriff). [ https://netzwerke.bam.de/Netzwerke/Content/DE/Downloads/Nike/bemma-untersuchungsverfahren.pdf?__blob=publicationFile ]
- Wiegner/M. Farke/W. Horn/O. Jann/O. Hahn, Den Schadstoffen auf der Spur. Die Bewertung von Emissionen aus Materialien für Museumsausstattungen mithilfe des neuen BEMMA-Schemas. Restauro 3 (2012), 38-44.
Oddy-Test
- Heine/ A. Jeberien, Oddy-Test Reloaded – Standardized Test Equipment and Evaluation Methods for Accelerated Corrosion Testing. Studies in Conservation 63 (2018), 362–365.
- Jeberien/N. Alktash/B. Szyszka/A. Chalhoub, Der beschleunigte Korrosionstest nach Oddy- Innovation und Herstellung reproduzierbarer Indikatorplättchen mittels Dünnschichtverfahren. Metalla Sonderheft 11 (2021), 124-126.
- Korenberg/M. Keable/J. Phippard/ A. Doyle, Refinements Introduced in the Oddy Test Methodology, Studies in Conservation (2018) 63, 2-12 (online-Zugriff) [ https://www.researchgate.net/publication/319663885_Refinements_Introduced_in_the_Oddy_Test_Methodology ]
- A. Oddy, An Unsuspected Danger in Display. Museum Journal 73 (1973), 27-28.
- Online verfügbare Listen zu Oddy-Tests gibt es zum Beispiel vom Rathgen Forschungslabor Berlin [ https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/rathgen-forschungslabor/forschung/forschungsergebnisse/der-oddy-test/ ] oder auf conservation-wiki [ https://www.conservation-wiki.com/wiki/Materials_Testing_Results ]
TDS/GC-MS-Test
- Verband der Automobilindustrie, VDA 278 (online-Zugriff) [https://en.vda.de/de/services/Publikationen/vda-278-thermodesorptionsanalyse-organischer-emissionen.html ]: Thermodesorptionsanalyse organischer Emissionen zur Charakterisierung nichtmetallischer KFZ-Werkstoffe, Berlin (2011)
- A.Dix/M. Raquet, Schadstoffvermeidung in Vitrinen im Germanischen Nationalmuseum. Erfolge und Kompromisse. VDR Beiträge 2 (2016), 78-87.