L.I.S.A.: Wenn wir von ethnographischen Sammlungen aus der Kolonialzeit sprechen, von was für einem Gegenstand sprechen wir dabei genau? Welches Material umfassen solche Sammlungen und in welchem Umfang?
Dr. Förster: Mit ethnographischen Sammlungen sind zunächst diejenigen Sammlungen gemeint, die wir aus ethnologischen Museen bzw. aus Museen „für Völkerkunde“ - wie sie glücklicherweise nur noch selten heißen - kennen. Diese Museen entstanden zu einem großen Teil um die vorletzte Jahrhundertwende (1900), mit Wurzeln in den Jahrhunderten davor, als man Kunst- und Wunderkammern anlegte. Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert war vom Hochimperialismus geprägt, und in Deutschland war dies die Zeit der formellen Kolonisierung. In genau dieser Phase bildete sich die Wissenschaft der Ethnologie heraus – und so ist ihre Geschichte eng mit der kolonialen Erschließung und Eroberung verbunden. Manche ethnographische Sammlungen wurden zu eigenständigen Museen ausgebaut - wie etwa in Berlin -, andere wurden Teil von Vielspartenmuseen, wie etwa im Übersee-Museum Bremen oder im Landesmuseum Hannover.
Aber es wurde nicht nur von Ethnologen ethnographisch gesammelt – auch Anthropologen, Anatomen, Geographen und viele andere Disziplinen sammelten Objekte, wie auch Proben und Belegstücke, in den deutschen wie auch in anderen europäischen Kolonien. Diese Sammlungen konnten wir in unserem Buch nur in Ausschnitten berücksichtigen, denn wir wollten uns zunächst auf diejenigen Sammlungen konzentrieren, die konstitutiv für die Geschichte unserer eigenen Disziplin, der Ethnologie, sind. Der Band ist ja das Ergebnis einer gleichnamigen Tagung, die von der Arbeitsgruppe Museum der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie ausgerichtet wurde. Aber der nächste Schritt in der Debatte um die Dekolonisierung von Museen und Sammlungen wird sein, neben ethnographischen Sammlungen sowie Sammlungen, die menschliche Überreste aus einem kolonialen Kontext beherbergen, auch kunsthistorische, kunstgewerbliche, (stadt)historische, naturkundliche und Technikmuseen stärker in den Fokus zu nehmen. Der Deutsche Museumsbund hat soeben einen ersten Entwurf für einen „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ herausgegeben: Hier spielen all diese Sammlungen ebenfalls eine Rolle.