L.I.S.A.: Von Bilder geht heute trotz des Wissens um ihre Manipulierbarkeit nach wie vor eine hohe Beweiskraft aus. Im Fall der Zerstörungen in Palmyra sind wir auf Bilder angewiesen, die von den Tätern selbst produziert und verbreitet wurden. Für wie verlässlich halten Sie diese Bildstrecken? Was genau zeigen sie uns bzw. lassen sie uns erkennen? Was sollen wir möglicherweise sehen?
Dr. Brusius: Tatsächlich besteht diese beweisgenerierende Kraft der Fotografie trotz des Wissens um Manipulationen weiter fort. Und das, obwohl nicht nachvollziehbar ist, wer die Bilder produzierte und wer bestimmte, wie und in welcher Reihenfolge sie an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Visuelle Beweisführung findet aber längst nicht mehr intrinsisch und somit im Bild selbst statt, sondern in den Mechanismen, die das Bild im Folgenden verbreiten und einbetten. Hier geben sich die Inszenierungsstrategien von Daesch (Abkürzung von "Der Islamische Staat im Irak und der Levante" / "Al-Daula al-Islamija fil-Irak wal-Scham", Anm.d.Red.) und westliche Medien quasi die Hand, da beide auf einander angewiesen sind. Kurz gesagt, wären die Bilder Daeschs wertlos, würden westliche Medien sie nicht verbreiten.
Durch die Bilder wird dadurch eine Tat vollbracht, die im Wesentlichen darin besteht, diese selbst zum Bild werden zu lassen. Dass dabei Objekte zu Schaden kommen, wird somit zum zweitrangigen Nebeneffekt, selbst wenn es angeblich auch darum geht, Spuren der irakischen und syrischen Geschichte materiell zu verwischen. Dabei lässt sich eine besondere Strategie der Bildnarration von Seiten Daeschs beobachten. Das Ausmaß der Zerstörung wurde auffällig langsam und in einzelnen Schritten kommuniziert. Die Aufnahmen zeigten nicht dass, sondern durch quasi cartoonartige Bildstrecken, wie IS-Kämpfer den Baalschamin-Tempel angeblich in die Luft sprengten. Durch serielle Einbettung beschreiben die Fotografien den Vorgang als Narrativ, nicht als Moment. Die Bilder funktionierten somit nicht als Ikonen, wie etwa das Foto der brennenden Twin Towers des 11. Septembers 2001, bei dem das Einzelbild symbolisch für einen ganzen Tatvorgang stand, sondern dieser wurde regelrecht hergeleitet, um die Tat selbst, nicht nur das Ergebnis sichtbar zu machen. Das Ende der Zerstörung wird dadurch unabsehbar. Während Textquellen jedoch meistens hinterfragt, verifiziert und interpretiert werden, wirken Fotografien als Glieder einer Beweiskette weiterhin unmittelbar, weshalb sie problematisch sind. In Hinblick auf die Verwendung der Bilder wäre ein kritischerer Umgang dringend notwendig, der ihre Herkunft thematisiert und sich dadurch von ihren Inhalten distanziert.