L.I.S.A.: Die Umschlagabbildung zeigt einen Ausschnitt aus Otto Dix Gemälde „An die Schönheit“ von 1922. Darauf schaut uns der Maler skeptisch bis misstrauisch an, als seien wir als Leser „Unter Beobachtung“. Warum haben Sie sich für diesen Titel und dieses Bildmotiv entschieden? Fühlen Sie sich als Österreicher unter Beobachtung? Und falls ja, unter wessen Beobachtung steht Österreich seit 100 Jahren?
Prof. Rauchensteiner: Das Gemälde von Otto Dix war ein Glückstreffer. Ich habe lange gerungen, welches Bild sich für den Umschlag eignen würde, was aussagekräftig genug sein würde, um Verwendung zu finden. Bei der Durchsicht von Katalogen, Bildarchiven und nach ellenlangen Internetrecherchen fehlte immer wieder ein Detail, das sich mit dem Titel in Einklang bringen ließ. Und gerade der Titel wurde schließlich unverrückbar, da Österreich 2016 wieder einmal extrem „unter Beobachtung“ stand. Der ehemalige tschechische Außenminister Karl Schwarzenberg verwendete genau dieselben Worte. Und dann stieß ich plötzlich auf das Bild von Otto Dix. Und es passte wie kein anderes. Da war der strenge Blick eines Beobachters, der einen direkt ansieht, und im Hintergrund ein Paar, das so sehr mit sich beschäftigt ist, so selbstverliebt und alles andere ignorierend, dass es sich um den strengen Blick des Beobachters gar nicht zu scheren scheint. Das traf und trifft wie nichts anderes auf Österreich zu. Man tut doch alles, um die Umwelt auszublenden, fühlt sich selbst als Zentrum und ist immer wieder maßlos irritiert, wenn man daran erinnert wird, dass der Blick von außen alles andere als liebevoll ist. Es darf freilich nicht übersehen werden, dass „Unter Beobachtung“ auch inkludiert, dass man sich selbst in den Spiegel schaut. Das ist letztlich auch Aufgabe der Historiker.
Natürlich sind kleine Länder kritikanfälliger als große. Es gehört aber wohl auch zu den österreichischen Charakteristika, dass man immer dann, wenn etwas nicht gut läuft, die Schuld bei den anderen sucht. In Österreich gilt denn auch seit Kaisers Zeiten, dass man sich als Mittelpunkt sieht und andere ein wenig abtut. Nicht von ungefähr heißt es im Text der österreichischen Bundeshymne: „… liegst dem Erdteil du inmitten, einem starken Herzen gleich. Hast seit frühen Ahnentagen hoher Sendung Last getragen, vielgeprüftes Österreich“.