L.I.S.A.: Sie stellen die These auf, Social Media folge einer Ästhetik der Täuschung. Das verwundert vielleicht, denn viele Social Media-Nutzer halten diese Kanäle für sehr real, um nicht zu sagen für Kanäle der unmittelbaren Wahrheit. Täuschen die sich? Und was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter „Wirklichkeit“ und „elektronischer Ähnlichkeit“?
Altehenger: Nun die Täuschung ist allgegenwärtig. Egal wo wir uns bewegen und mit wem wir interagieren. Wir sind immer in Rollen unterwegs. Nun, wenn wir uns ein Profil auf einem sozialen Netzwerk anlegen, geben wir vielleicht etwas von uns preis oder vielleicht erschaffen wir auch eine ganz neue Rolle, in der wir dann interagieren. Gehen wir davon aus, dass ich mit meinem Klarnamen ein Profil anlege, ein Foto hochlade, vielleicht noch in meinem Steckbrief schreibe, wann ich Geburtstag habe und welche Musik ich so mag. Nun bin ich ja aber tatsächlich viel mehr als das. Ich gebe ja nicht mein ganzes Leben auf der Plattform preis und ich dokumentiere ja auch nicht alles, was ich tue oder denke oder erlebe. Und dadurch ist das Profil, das ich erstellt habe, nicht zu 100 Prozent ich selbst, wie ich es in der Wirklichkeit bin, sondern nur ein Teil von mir. Das Profil hat nur eine elektronische Ähnlichkeit mit mir - auch nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass es durch Einsen und Nullen codiert wird. Und durch diese Ähnlichkeit wird automatisch ein Mythos generiert. Dieser ist allerdings von Profil zu Profil unterschiedlich. Insofern, ja, die Nutzer täuschen sich, aber das tun sie in einer normalen Konversation aufgrund der unterschiedlichen Rollen, in die sie schlüpfen, auch. Und es ist auch immer davon abhängig, ob ich mein Gegenüber auch persönlich kenne oder nur das elektronische Profil und somit nur einen kleinen Teil von ihm oder ihr. Kennen wir von unserem Gegenüber nur die elektronische Ähnlichkeit, dann gleicht das einem Blick durch ein Schlüsselloch. Denn wir können nur einen bestimmen Blick in den Raum hinter der verschlossenen Tür werfen. Das gilt auch für die sozialen Netzwerke. Wir bekommen nur einen bestimmten Blick auf die Person zu sehen.
Aber auch hier muss noch unterschieden werden zwischen den Nutzern, die diese Plattformen beruflich nutzen bzw. beruflich interagieren (ch beschreibe Sie in meinem Buch als media experts) und den Nutzern, die diese Plattformen privat für sich nutzen (die non media experts). Die media experts wissen wie der Content inszeniert werden muss, um eine möglichst große Zielgruppe anzusprechen und zu erreichen. Was dafür sorgt, dass die Täuschung immer präsent ist. Die Stärke der Täuschung ist aber auch immer davon abhängig, wie viel Erfahrung man selber hat. So lässt sich ein media expert mit Sicherheit nicht so leicht täuschen wie ein non media expert.