L.I.S.A.: Herr Coesfeld, Sie haben im Band „Sport und Nationalsozialismus“, herausgegeben von Prof. Dr. Frank Becker und Dr. Ralf Schäfer, einen Aufsatz über die Sportart Jiu-Jitsu in der Zeit des Nationalsozialismus publiziert. Bevor wir zu Einzelheiten kommen, was ist die leitende Fragestellung beziehungsweise die zentrale These Ihrer Studie?
Coesfeld: Der Aufsatz ist ein Teilaspekt meines Promotionsvorhabens im Fach Neuere und Neueste Geschichte. Darin befasse ich mich mit der Kampfsportgeschichte im Deutschen Reich – einem weiten Themenfeld, das in der historischen Forschung bisher äußerst spärlich behandelt worden ist.
Beim Jiu-Jitsu handelt es sich um eine dieser Kampfsportarten. Das Besondere an ihr ist, dass sie um die Jahrhundertwende aus Japan ins Deutsche Reich importiert worden war. Jiu-Jitsu war also noch recht jung in Deutschland, ähnlich wie das aus England stammende Boxen. Beide Kampfsportarten trafen im Kaiserreich noch auf heftige gesellschaftliche Ablehnung. Während Boxen im Zuge der Olympisierung auf immer größere Akzeptanz stieß, hing an Jiu-Jitsu weiterhin der Ruf exotisch und fremd zu sein. Obwohl im Nationalsozialismus alles „artfremde“ abgelehnt wurde, konnte Jiu-Jitsu – und das sich von ihm abspaltende Judo – nicht nur praktiziert werden, es fand sogar Einzug in sämtliche NS-Organisationen. Selbst Hitler lobte es ausdrücklich.
Ich gehe im Aufsatz der Frage nach, welches ideologische Konstrukt im nationalsozialistischen Sportverständnis gebaut wurde, damit das Praktizieren einer Sportart legitimiert werden konnte, die offenkundig von einer anderen „Rasse“ stammte und noch nicht so weit etabliert war, dass sie als Teil deutscher Kultur akzeptiert wurde. Damit verbindet sich die Frage nach Grad und Art der Verstrickung der Sportfunktionäre mit dem Regime. Gerade die letzte Frage ist auch durch meinen Aufsatz noch nicht zufriedenstellend beantwortet und bedarf weiterer Forschungsarbeit.