Die Demokratische Republik Kongo (im Folgenden kurz „Kongo“) gilt als eines der rohstoffreichsten und gleichzeitig ärmsten Länder der Welt. Denn die Bodenschätze des Landes sind seit jeher stark umkämpft. Nicht nur die bis 1960 währende belgische Kolonialherrschaft, sondern auch die darauffolgende Diktatur und eine Reihe von Kriegen und innenpolitischen Unruhen plagten lange das Land und machten es zu einem immerwährenden Konfliktherd. Dabei scheint insbesondere der Osten des Kongo nicht zur Ruhe kommen zu wollen. Erst Ende Mai erreichten uns zuletzt wieder Nachrichten über Rebellenangriffe im Osten des zentralafrikanischen Staates, wo bewaffnete Kämpfer zwei Dörfer überfielen und über 70 Menschen starben. Übergriffe dieser Art haben oft Zivilisten zum Opfer und werden in den seltensten Fällen strafrechtlich geahndet. Denn die offizielle Gerichtsbarkeit hat ihren Sitz weit weg in der Hauptstadt und ist somit für die in entlegenen Regionen lebenden Menschen praktisch außer Reichweite. Um diesen Missstand zu beheben, wurden in den letzten Jahren vermehrt mobile Gerichte eingesetzt, die in den äußersten Winkeln des Landes für Gerechtigkeit sorgen sollen. Der Jurist und Konfliktforscher Patrick Hönig, der selbst vor Ort war, widmet sich in seinem Buch eben diesen mobilen Gerichten und setzt sich dabei sehr kritisch mit ihnen auseinander. Wir haben ihn gefragt, wie mobile Gerichte im Kongo funktionieren und welche Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten er in diesem Zusammenhang sieht.
"Die Realität sah anders aus"
L.I.S.A.: Herr Dr. Hönig, kürzlich erschien ihr Buch „Ein Ende Straflosigkeit? Mobile Gerichte im Osten der Demokratischen Republik Kongo“. Bevor wir zu Einzelheiten kommen, vorab die Frage: Was genau hat Sie als Jurist und Konfliktforscher dazu bewegt, ein Buch über den Kongo zu schreiben?
Dr. Patrick Hönig: In der Friedensforschung wird der Osten des Kongo seit Langem zitiert als Beispiel für einen Konfliktherd, der nicht zur Ruhe kommt. Im Juni 2002 gab Human Rights Watch einen Bericht über die Lage im Kongo heraus, The War Within the War, der den Einsatz sexueller Gewalt als Kriegswaffe beleuchtete. Als der Internationale Strafgerichtshof einen Monat später seine Arbeit aufnahm, war klar, dass der Kongo eines der ersten Betätigungsfelder sein würde. In den Medien wurde über das Friedensabkommen von Pretoria berichtet, über die Übergangsregierung in Kinshasa und die Vorbereitung von Wahlen. Allgemein wurde der Eindruck vermittelt, der Kongo sei auf dem Weg in eine bessere Zukunft. So hatte ich das Gefühl, mit der Lage im Land vertraut zu sein, noch bevor ich das erste Mal dort war.
Die Realität sah dann anders aus. Lassen Sie mich das an einem Beispiel festmachen. Von 2004 bis 2006 war ich politischer Referent der Friedensmission der Vereinten Nationen. Eines Tages wurde ich in ein Gefängnis in Bukavu gerufen. Eine junge kongolesische Frau war beim Grenzübertritt festgesetzt worden, es lag aber nichts gegen sie vor. Es fing an zu dämmern. Wir waren in Sorge und diskutierten immer weiter, bis man die Frau schließlich gehen ließ. Zum Abschied sagte mir ein Soldat, man möge doch der Truppe mehr von diesen Menschenrechtsfibeln schicken, die von den Vereinten Nationen verteilt wurden. Er lachte dabei, und ich glaube, das war so der Moment, wo ich verstand, dass es mit der Proklamation internationaler Menschenrechte nicht getan ist, schon gar nicht in einem komplexen Umfeld wie dem Kongo. Man kann den Titel des Buches also lesen, wie man will, als Gerichts- oder als Diskurskritik. Die Frage ist dann entweder: „Sind die mobilen Gerichte ein taugliches Mittel zur Beendigung der Straflosigkeit im Kongo?“ oder: „Ist der Diskurs zur Beendigung der Straflosigkeit ein taugliches Mittel, um zu beschreiben, was mobile Gerichte im Kongo tun?“.