Der Publizist Garlieb Merkel (1769-1850) gehörte in seiner Schaffenszeit zu den schillerndsten und provokantesten öffentlichen Stimmen. Entgegen dem damaligen Zeitgeist in deutschen Landen machte er unter anderem gegen den allseits verehrten Goethe Stimmung und trommelte lautstark für die Befreiung der leibeigenen Bauern in Liv-, Est- und Kurland aus deutscher Herrschaft. Heute ist der streitlustige Garlieb Merkel weitgehend vergessen. Für den Literaturwissenschaftler Dr. Dirk Sangmeister von der Universität Erfurt, der sich vor allem der Literatur der Aufklärung widmet, ein Grund mehr, sich mit diesem einst so öffentlichkeitswirkamen Intellektuellen näher zu beschäftigen. Anlässlich seines 250. Geburtstags hat er eine Edition von Merkels unveröffentlichter Korrespondenz mit 140 Literaten, Gelehrten und anderen Zeitgenossen in Mittel- und Osteuropa veröffentlicht. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Wenn man sich mit Johann Gottfried Herder beschäftigt, stößt man schnell auf Merkel"
L.I.S.A.: Herr Dr. Sangmeister, Sie haben sich mit einem heute weitgehend unbekannten deutsch-baltischen Publizisten aus der Zeit der deutschen Spätaufklärung beschäftigt: Garlieb (Helwig) Merkel, geboren 1769 im russischen Livland, das damals von einer deutschsprachigen Oberschicht dominiert wurde. Wie kamen Sie darauf, diese Figur, die sie als Reizfigur bezeichnen, zu erforschen? Was war der Auslöser Ihrer Recherchen?
Dr. Sangmeister: Auf Garlieb Merkel bin ich zuerst im Zuge meiner vieljährigen Forschungen über Leben und Werk des Schriftstellers Johann Gottfried Seume gestoßen. Beide Männer haben sich 1796 in Leipzig kennengelernt und auf der Stelle angefreundet, was dazu führte, dass Merkel seinem ersten und bedeutendsten Werk, nämlich seiner Streitschrift über und für Die Letten vorzüglich in Liefland am Ende des philosophischen Jahrhunderts, abschließend ein Gedicht Seumes hinzufügte. Auch wenn man sich mit Johann Gottfried Herder beschäftigt, der ja von 1764 bis 1769 in Riga gewirkt hatte und der das Buch über Die Letten sehr positiv besprach, stößt man schnell auf Merkel, der später nach dem Willen von Herders Witwe auch dessen Sämtliche Werke mitherausgeben sollte. Der renommierte Germanist Gero von Wilpert hat Merkel als den »wirkungsmächtigsten baltischen Schriftsteller der Aufklärungszeit« gerühmt – deshalb war es mehr als überfällig, Merkels weitgespannten Briefwechsel mit seinen Freunden und Korrespondenten in Deutschland, Livland und Russland zu edieren und jetzt aus Anlass seines 250. Geburtstages zu publizieren.