Der Arzt Eustathios Athanassiou (1766-1831) war in seiner Zeit kein typischer Untertan des Osmanischen Reiches. Er verkörperte vielmehr ein kleines Milieu von Intellektuellen, die sich neben ihrer beruflichen Tätigkeit, in diesem Fall der Heilkunde, literarischen und philosophischen Werken widmeten und dabei auch mit der Gedankenwelt der europäischen Aufklärung in Kontakt kamen. Diese Berührungen waren nicht nur intellektueller Natur, sondern fand durch Reisen ins abendländische Europa auch im realen Austausch statt. Eine Folge dieser Begegnungen war ein beidseitiger Transfer von Wissen zwischen Ost und West, bei dem einem Medicophilosophos wie Eustathios Athanassiou eine bleibende, aber heute vergessene Bedeutung zukommt. Welche, das haben wir die Literaturwissenschaftlerin und Graezistin, Prof. Dr. Julia Chatzipanagioti-Sangmeister, von der Universität Zypern gefragt, die zuletzt die erste Biographie über Eustathios Athanassiou veröffentlicht hat.
"Parallel zur Berufspraxis wissenschaftliche und literarische Werke"
L.I.S.A.: Frau Professor Chatzipanagioti-Sangmeister, Sie lehren an der Universität Zypern Neugriechische Philologie und haben zuletzt ein Buch bzw. eine Biographie über einen griechischen Intellektuellen aus der Zeit vor dem griechischen Unabhängigkeitskampf geschrieben. Bei Ihrem Protagonisten handelt es sich um den Arzt und Philosophen Eustathios Athanassiou (1766-1831), der auch in Griechenland zu den weitgehend Vergessenen gehört. Was hat Sie bewogen, sich mit diesem „Medicophilosophus" (ιατροφιλόσοφος) wissenschaftlich zu beschäftigt? Was ist überhaupt ein Medicophilosophus? Eine Art Avicenna (Ibn Sina)?
Prof. Chatzipanagioti-Sangmeister: Einen Medicophilosophus in der Tradition von Avicenna verkörperten in Deutschland im späten 18. Jahrhundert sogenannte Philosophische Ärzte wie Ernst Platner in Leipzig, Melchior Adam Weikard in Fulda und die beiden Unzer in Altona. Sie bemühten sich um ein ganzheitliches Wissen über die Beschaffenheit des Menschen, ihr Interesse galt Herz und Kopf, Leib und Seele. Im griechischsprachigen Kulturraum wurde als Medicophilosophus ein studierter, meist promovierter Arzt bezeichnet, der parallel zu seiner Berufspraxis wissenschaftliche und literarische Werke schrieb oder übersetzte, fallweise auch Schulen, Bibliotheken, Druckereien oder gelehrte Gesellschaften mitbegründete. Diese vielseitigen Mediziner waren Grenzgänger, die den Wissens- und Kulturtransfer und somit die Rezeption und Aneignung der Aufklärung im griechischsprachigen Raum beförderten. Ich hebe mit meinem Buch am Beispiel von Athanassiou die Notwendigkeit hervor, die Medicophilosophi als Mittelsmänner des Übergangs zur Moderne näher zu betrachten.