L.I.S.A.: Wie verhält sich ein Online-Nachschlagewerk wie die Docupedia zu einer gedruckten Publikation, wie beispielsweise die „Geschichtlichen Grundbegriffe“? Auch dort wird der Begriff „Masse“ gemeinsam mit anderen Kollektivkonzepten aufgearbeitet. Was ist anders?
Dr. Middendorf: Im Unterschied zu den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ steht bei Docupedia keine geschlossene Konzeption hinter den Einzelbeiträgen, sondern hier setzt jede Autor/jede Autorin ihre Schwerpunkte gemäß der eigenen Forschungen. Es ist also, inhaltlich gesehen, kein gemeinsames Projekt, das eine historische Epoche (die „Sattelzeit“ der Moderne) über ihre Begriffe zu erfassen versucht, sondern ein Ort der fortlaufenden und weitgehend offenen Selbstreflexion der gegenwärtigen zeithistorischen Forschung über ihre erkenntnisleitenden Kategorien und Kontroversen. Zudem würde ich sagen, dass „Docupedia“ in seinen Themen und Begriffen internationaler angelegt ist als die „Geschichtlichen Grundbegriffe“, die sich explizit auf die politisch-soziale Sprache in Deutschland beziehen, wenngleich auch dort vergleichende Perspektiven integriert sind.
In meinem Fall, also für den Beitrag zur „Masse“, gilt zudem, dass ich anders als der Kollektivbeitrag von Reinhart Koselleck, Fritz Gschnitzer, Karl Ferdinand Werner und Bernd Schönemann in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ nicht so stark auf historische Semantik und die programmatische Verwendung des Begriffes in einer diachronen Perspektive gesetzt habe. Stattdessen steht bei mir die Konstruktion der „Masse“ als diskursives, aber auch als politisches und soziales Phänomen durch sehr unterschiedliche Akteure bzw. Akteursfelder im Fokus, zudem geht es stärker auch um die gesellschaftliche Praxis, die sich daraus ergeben hat und ergibt. Der Beitrag für „Docupedia“ ist auch mehr darauf angelegt, durch die Benennung von Forschungsperspektiven weitere Studien anzuregen, als dass er sein Thema erschöpfend behandeln wollte. Im Vergleich zu Koselleck et al. habe ich mich stärker beschränken müssen; deren Beitrag umfasst fast 300 Seiten, in denen der Begriff der „Masse“ sehr differenziert und mit einer Vielzahl von Zitaten gegen andere Kategorien wie „Volk“ und „Nation, Nationalismus“ abgewogen wird, und dies von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. „Docupedia“ ist insofern schneller handhabbar und für Studierende vielleicht leichter zugänglich. Anders als die Autoren der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ habe ich zudem die Möglichkeit, meinen Beitrag in Abständen zu aktualisieren – das finde ich sehr sinnvoll, denn das zeithistorische Forschungsfeld zu diesem Themenfeld verändert sich und auf dieses ist der Beitrag bezogen.