Nach einem Tag Pause haben wir uns am Montagabend wieder an die Tasten gesetzt und dieses Mal eine Frage diskutiert, die auch im Zuge der Debatte um eine sogenannte Herdeninfektion aufkam: Müssen wir zum Wohle der Allgemeinheit möglichst bald wieder Normalität einkehren lassen, um vor allem die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, verbunden mit dem Risiko, dass die Infektionsrate explodiert und es deswegen zu mehr Todesfällen vor allem in der Risikogruppe kommt? Anders gefragt: Können wir es uns überhaupt leisten, den normalen Wirtschaftslauf stillzulegen, um die gesundheitlich Schwachen zu schützen? Müssen wir am Ende gar abwägen zwischen Ethik und Realität, zwischen Geld und Leben? Oder ist es gegen jede Menschlicheit, diese Fragen überhaupt zu stellen? In ihrem CoronaLogBuch haben Jürgen Zimmerer und Georgios Chatzoudis darüber mit ihren Gästen Mahret Ifeoma Kupka und Paul Nolte kontrovers diskutiert.
"Aus der Art der Diskussion etwas über den aktuellen Stand der Gesellschaft lernen"
Zimmerer: Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der derzeitigen politischen Maßnahmen, die ja vor allem die Risikogruppen schützen sollen, fragen manche schon, ob es nicht gerechtfertigt wäre, manche ihrem Schicksal und dem erhöhten Risiko zu überlassen, damit die Wirtschaft wieder ungehinderter funktionieren kann. Ist so ein Denken mit den Prinzipien der Menschenwürde und Menschenrechte vereinbar? Kann eine Gesellschaft wie unsere, mit unserem Grundgesetz, so eine Frage überhaupt beantworten?
Kupka: Die Antwort sollte eigentlich ganz einfach sein, nicht? Nein!
Zimmerer: Warum ist sie es dann nicht?
Nolte: Ich glaube nicht, dass irgendjemand Menschen einfach "ihrem Schicksal" überlassen will.
Zimmerer: Wollen nicht, aber das wäre die Konsequenz.
Nolte: Nein, nicht unbedingt. Eine Option könnten zum Beispiel differenzierte Ausgangsregeln je nach Alter sein.
Zimmerer: Sie lenken ab!
Nolte: Nein. Manche Fragen müssen einfach gestellt werden, auch wenn die Antworten nicht vorhanden, nicht befriedigend, paradox oder aporetisch sind.
Zimmerer: Na ja, sie werden aber nicht im philosophischen Seminar gestellt, sondern in der politischen Arena, etwa in den USA.
Nolte: Schon richtig, aber trotzdem braucht man das "Philosophische Seminar". Die Stellungnahme des Ethikrats zum Beispiel ist sehr wichtig. Also, auch hier braucht es Expertise, will ich damit sagen.
Kupka: Ich denke auch, dass die Frage gestellt werden sollte, allein schon, um aus der Art der Diskussion etwas über den aktuellen Stand der Gesellschaft zu lernen.
Zimmerer: Und was ist Ihr Fazit?
Kupka: Ich finde, wir sind noch mittendrin. Wann ist die Diskussion denn zuende, um ein Fazit ziehen zu können? Der Zwischenstand jedenfalls ist wenig überraschend.
Zimmerer: Gut, dann meine ich den Zwischenstand: Ich bin erschrocken!
Kupka: Ja.