L.I.S.A.: Besondere Bedeutung kommt Ihrer Studie nicht zuletzt auch dadurch zu, dass eine Geschichte der deutschen Besatzungszeit aufgezeigt wird, die bisher nicht berücksichtigt worden ist. Das korrespondiert auch mit dem jeweils zeitgenössischen Umgang mit dieser konkreten Thematik: Über sexuelle Kontakte zwischen Besatzern und Besetzten wurde geschwiegen. Was geschah nach dem Krieg mit den Frauen, die Beziehungen zu deutschen Männern hatten? Wie wurden sie nach dem Krieg in ihren Ländern wahrgenommen?
Prof. Röger: Für zahlreiche Frauen, die mehr oder minder freiwillige Kontakte zu deutschen Männern während der Besatzungszeit pflegten, ging der Krieg nach dem Rückzug der Deutschen weiter. Einzelne Frauen mussten Ehrstrafen über sich ergehen lassen, wobei das Ausmaß dieser öffentlichen Gewalt in Polen – die im Detail noch zu erforschen ist – im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, allem voran dem „carnaval moche“ (Alain Brossat) in Frankreich, wohl überschaubar blieb. An die Stelle dieser Art der direkten, körperlichen Selbstjustiz traten nach dem Abzug der Deutschen gezielte Denunziationen der Frauen. In den Unterlagen der polnischen Specjalny Sądy Karny – der Gerichte, die sich nach 1945 mit Kollaborateuren während der NS-Besatzung befassten – finden sich zahlreiche Belege dafür, dass nun ehemalige Nachbarn oder Kollegen Frauen anzeigten, die in der Besatzungszeit mit Deutschen intim verkehrten. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nach 1945 konstruierte die polnische Legislative kein Delikt, um sexuelle Beziehungen mit den deutschen Besatzern ahnden zu können. Nur wenn eindeutig nachgewiesen werden konnte, dass die betreffende Frau tatsächlich Polen oder Juden verraten hatte, wurde sie verurteilt. In Einzelfällen ergingen dann sogar Todesurteile. Ansonsten drohten diesen Frauen nach dem Krieg nicht nur juristische Maßnahmen, sondern vor allem auch die soziale Ächtung. Deshalb dürften viele ihren Wohnort gewechselt haben. Von den Besatzungskindern, die ich interviewt habe, lebten die meisten in der Nachkriegszeit nicht an dem Ort, an dem ihre Mütter sich in der Besatzungszeit befunden hatten.
Opfer von Vergewaltigungen und Zwangsprostitution haben vermutlich noch Jahrzehnte unter den Übergriffen gelitten. Psychologische Studien weisen zum einen auf den extrem destruktiven Charakter von Verletzungen der sexuellen Integrität hin, und zum anderen auf die Tatsache, dass es zu späteren Traumaschüben kommen kann. In die Öffentlichkeit gingen die vergewaltigten und belästigten Frauen und Männer mit ihren Geschichten kaum. Sie versuchten zu vergessen, wie dies auch die Gesellschaft insgesamt versuchte, die mit der Aufarbeitung der oftmals traumatisierenden Gewalterfahrungen während der deutschen Besatzung beschäftigt war. Während in der Bundesrepublik die sexuellen Übergriffe der Sowjetsoldaten schnell zu einem Topos der Erinnerungskultur wurden, da das Feindbild des brutalen Russen weiterhin gut in die politische Großwetterlage passte - nun in den aufkommenden Kalten Krieg -, war das Gedenken an sexuelle Gewalt in Polen weniger opportun. (Sexuelle) Verbrechen der Roten Armee sollten verschwiegen werden, und so strich man in der Geschichtspolitik auch die Übergriffe der Deutschen nicht weiter hervor.