Dahinter standen handfeste machtpolitische Überlegungen, die unmittelbar mit der Tatsache, dass Serbien als einzige Republik des Landes zwei autonome Provinzen "beherberte", in Zusammenhang standen. Durch die Anerkennung einer mazedonischen Republik auf dem Territorium, das in der Zwischenkriegszeit noch zu Serbien gehörte, und die Einrichtung von zwei autonomen Provinzen innerhalb der serbischen Teilrepublik suchten die Architekten des zweiten Jugoslawiens der Dominanz Serbiens entgegenzuwirken. Die Verfassung von 1974 gewährte den autonomen Provinzen einen de-facto Republikstatus, der es Belgrad unmöglich machte, auf die politischen Entwicklungen innerhalb "der eigenen Republik" Einfluss zu nehmen. In Belgrad wurden daher Stimmen laut, die eine Korrektur dieser Entwicklung einforderten, in den anderen Republiken wollte man sich auf diese Debatte jedoch nicht einlassen. Man verwehrte sich gegen jegliche Ansätze einer Rezentralisierung, auch weil damit historische Ängste verbunden waren. Man fürchtete um die eigene Autonomie und argumentierte mit Titos Vermächtnis, das in der Verfassung von 1974 festgeschrieben war. Als Folge davon kam es zwischen den Republiken zunehmend zu Blockadehaltungen, gerade in einer Zeit, als die ökonomische Krise dramatische Ausmaße annahm und Reformen unerlässlich gewesen wären.
In Serbien traten vor diesem Hintergrund rasch neue Akteure in Erscheinung, wie etwa die Serbisch-Orthodoxe Kirche, für die die Kosovokrise eine willkommene Gelegenheit bot, wieder ins Rampenlicht zu treten. Intellektuelle und Akademiker meldeten sich zu Wort, die rasch bei der Hand waren, die Abwanderung von Serbinnen und Serben aus Kosovo als "Genozid" zu bezeichnen und mit historischen Erzählungen ethnische Antagonismen schürten. Wie sich dieser aufkeimende Nationalismus in kulturellen und akademischen Institutionen wie der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der Schriftstellervereinigung von Serbien und Kosovo sowie im Projekt einer Jugoslawischen Enzyklopädie manifestierten, wird in drei Beiträgen unserer Zeitschrift thematisiert. Weitere Beiträge thematisieren die Rolle bestimmter Medien, die die "neue Freiheit" nutzten, um kulturelle Animositäten und Vorurteile zu schüren. So wurden die bosnischen Muslime von serbischen Medien umgehend verdächtigt, die Aufstände in Kosovo mitgeplant zu haben und mit den Albanern zu sympathisieren. Sofort war von panislamistischen Bestrebungen die Rede und davon, dass der Islam ein aggressiver politischer Faktor sei, der die Stabilität des Landes bedrohe. Zwar bedienten sich die politischen Eliten in dieser Phase noch nicht dieser Rhetorik, sie stemmten sich aber auch nicht entschieden dagegen, wodurch in Teilen der Bevölkerung der Eindruck entstand, dass es sich um unausgesprochene Wahrheiten handelte. Es zeigt, wie fragil und verletzlich die Beziehungen zwischen Teilen der politischen Eliten bereits Anfang der 1980er Jahre waren. Mitte der 1980er Jahre, als sich Milošević den Weg an die Macht bahnte, wurde diese Rhetorik omnipräsent und von der politischen Führung bewusst eingesetzt. Damit war das Ende der Brüderlichkeit und Einheit besiegelt. Während die politische Führung in Sarajevo sich für die streikenden Minenarbeiter in Kosovo einsetzte, fanden in serbisch bewohnten Gebieten Solidaritätsveranstaltungen für die unterdrückten Serben statt - oft an kirchlichen Feiertagen. Das zeigte welche enorme Sprengkraft die Ereignisse in Kosovo hatten und wie eng verwoben die Beziehungen zwischen den Republiken und den ethnischen Gruppen waren, die wie kommunizierende Gefäße interagierten. In Slowenien, aber auch in Kroatien, führte die Radikalisierung des Konfliktes zu einer Solidarisierung mit den Albanern und zu Verstimmungen mit Teilen der serbischen Parteispitze. Noch stärker als auf der politischen Ebene waren die Friktionen unter kritischen Intellektuellen und Juristen, die die schweren Menschenrechtsverletzungen, die in Kosovo begangen wurden, beklagten. Die Loyalität gegenüber Jugoslawien schwand mit der Aussicht auf Unabhängigkeit und einer Hinwendung zu Mitteleuropa, die fortan auch das Interesse an Kosovo schwinden ließ.