Frei nach Georg Christoph Lichtenbergs Diktum „Die Neigung der Menschen, kleine Dinge für wichtig zu halten, hat sehr viel Großes hervorgebracht“ (Sudelbücher Heft G, 234) wurde auf dem Science-Slam des 35. Deutschen Kunsthistorikertages in Göttingen (27.–31.03.2019) das Kongressmotto „Zu den Dingen!“ in neun kreativen Kurzvorträgen des wissenschaftlichen Nachwuchses aufgegriffen.
Ausgehend von einem kleinen Ding bzw. Detail innerhalb eines untersuchten Objektes, sollten Forschungsprojekte knapp und anschaulich vorgestellt werden. Einschränkungen von Epoche, Gattung, Material oder Technik gab es dabei keine. So ging es zum Beispiel um kleine Objekte von großer Bedeutung. Kanonen en minature wurden in ihrer wichtigen Funktion als Geschenke im Kontext von Unternehmenspolitik und Alltag am Beispiel Krupp vorgestellt (Sebastian Bunk). Die Skizzenbücher des Künstlers Fritz Griebel entpuppten sich als kleine Alleskönner und vor allem essentielles Forschungsinstrument für Kunsthistoriker (Fredrike Schmäschke) und ein nach außen gestülpter Kraken am Treppengeländer einer venezianischen Loggia stellte exemplarisch die Verflechtung des Kunsthandwerkes mit den Errungenschaften der Sinnesphysiologie der Belle Époque heraus (Thomas Moser).
Aber auch kleine Details wurden fokussiert, wie z.B jene in William Hogarths Gemäldezyklus Marriage A-la-Mode, die die Serie als pointierte Satire zum ehelichen Sittenverfall entlarven (Alina Hoffmann). Die sog. „Breite Treppe“ in der Münchner Residenz musste zwar mit der Lupe im Plan des 18. Jhs. gesucht werden, doch sie bewies sich trotz ihrer unscheinbaren Größe als Treppe von höchster zeremonieller Bedeutung (Shubhangi Prolingheuer). Die untersuchten Details und Objekte mussten also gar nicht so klein sein. Die raumgreifenden Assemblagen Georges Adéagbos wurden gemäß dem Vortragstitel in den Kontext von Materialität und materielle(r) Geschichte eingebettet (Helen Bremm). Kritisch ging es auch zu als anhand von Teekannen enthüllt wurde, wie ein etabliertes Narrativ die (kunsthistorische) Wahrnehmung von Dingen prägt (Alexandra Panzert) oder als gezeigt wurde, wie eine Dinganalyse die Repräsentanz und Nicht-Repräsentanz des Kolonialen hinterfragen kann (Johanna Strunge).
Nun klingt das bisher wie ein herkömmliches Vortragsgeschehen, doch handelt es sich bei einem Science-Slam um eine gänzlich andere Art des wissenschaftlichen Vortragens. In den Naturwissenschaften schon deutlich etablierter, scheint er für die Geisteswissenschaften noch immer ein recht neues Format, welches sich aus den literarischen Vortragswettbewerben der mittlerweile sehr populären Poetry Slams entwickelte. Ein Wettstreit also unter Wissenschaftler*innen der mit kreativen und unkonventionellen Kurzvorträgen zur eigenen Forschung bestritten wird. Im Gegensatz zum Poetry Slam sind beim Science-Slam jedoch alle Hilfsmittel erlaubt – Das Publikum soll unterhalten werden und das auf wissenschaftliche Art und Weise, egal ob mit Präsentationen, Requisiten oder Animationen.
Dabei nahm die Erfolgsgeschichte des Formates seinen Anfang in Deutschland, hier nämlich wurde der Science-Slam schon 2006 erfunden (http://www.scienceslam.de) und bringt seitdem die universitäre Forschung in kreativen Kurzvorträgen an ein breites (Laien-)Publikum. Ein Science-Slam bewegt sich also als moderne Form der Wissenschaftskommunikation irgendwo im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Diskurs und Unterhaltung, bestenfalls also gelungenes „Infotainment“ und vor allem Werbung für die Nachwuchswissenschaftler*innen und ihre Forschung.
Kann ein Science-Slam aber auch als Programmpunkt des Nachwuchsforums innerhalb des dichten Angebotes des Kunsthistorikertages Bestand haben? Er kann und sollte es auch zukünftig! Es geht darum das zuweilen enge Vortragskorsett der wissenschaftlichen Tagungskultur aufzusprengen und den Unterhaltungsfaktor des eigenen Faches und der spezifischen Forschung in den Vordergrund zu rücken.
So wird beim Science-Slam im Allgemeinen zwar mehr gelacht als bei herkömmlichen Vorträgen, der wissenschaftliche Ehrgeiz ist aber derselbe, vor allem dann, wenn sich wie beim Kunsthistorikertag im Publikum nicht nur Laien befinden, sondern vor allem Fachkollegen und -kolleginnen. Die Nachwuchswissenschaftler*innen wollen nicht nur unterhalten, sondern vor allem ihre Fachfragen zur Diskussion bringen und ihre Forschung präsentieren. In Göttingen bekamen die Slammer dafür jeweils nur fünf Minuten (bei den Deutschen Science-Slam Meisterschaften gibt es immerhin zehn Minuten). Der Anspruch an präzise Formulierungen und stringente Argumentationsstruktur ist also umso höher, Zeit für Fehler bleibt in den eng getackteten Vorträgen keine.
Gelöst vom „guten Ton“ eines wissenschaftlichen Vortrages (schlichte Präsentation, Fachsprache und ein mit nötiger Ernsthaftigkeit dargebotenes Ablesen des Vortrages), fanden die Teilnehmer*innen ganz individuelle Lösungen in den wissenschaftlichen Wettkampf zu ziehen und die Begeisterung für die eigene Forschung auf sehr authentische Weise mit dem Publikum zu teilen. Es wurde Cat-Content geboten, mit Memes gearbeitet, die Präsentationen mit anschaulichen Animationen gespickt und eine Flasche Rum als Anschauungsobjekt mit Option zur späteren Verköstigung mitgebracht. Die Vortragenden sprachen mal ganz frei, mal mit mehr poetischem Pathos, mal mit viel Witz. Schließlich konnten durch den Einsatz einer Handy-App die kaum hörbaren Unterschiede des Publikumsapplaus‘ ermittelt und damit eine Siegerin gekürt werden: Freya Schwachenwald hat mit ihrem Vortrag Ein steiniger Weg: Der Platz der Dinge und der Nicht-Dinge in der Kunstgeschichte den Wettbewerb knapp für sich entscheiden können.
Den Zuhörern*innen bot sich im tagungstypischen Vortragsmarathon eine zweifellos unterhaltsame Pause, wobei die Kurzweiligkeit der Vorträge und die unkonventionellen Umsetzungen Spannendes auch abseits des eigenen Forschungsgebietes aufzeigten und das aktuelle Forschungsinteresse des wissenschaftlichen Nachwuchses gekonnt in den Fokus rückte.
Obwohl ein noch größeres Interesse für den Science-Slam (wie für das Nachwuchsforum insgesamt) seitens der etablierten Wissenschaftler*innen wünschenswert gewesen wäre, präsentierte sich der Science-Slam als innovatives Vortragsformat, welches zukünftig nicht nur als angenehmer Pausenfüller, sondern als fester und vor allem lohnenswerter Programmpunkt in die eigene Besuchsplanung des nächsten Kunsthistorikertages aufgenommen werden sollte.