L.I.S.A.: Haben Sie ein konkretes Beispiel für den Freiheitsprozess eines Sklaven? Wer hat die Verteidigung übernommen? Waren die ehemaligen Sklaven nach erfolgreichem Prozess tatsächlich frei?
Dr. Retzlaff: Aus den Akten gehen nicht nur die rechtlichen Manöver hervor, die vor Gericht relevant waren, sondern sie gewähren vor allem Einblicke in die Lebenswelt von Sklaven und berichten darüber, wie es zu den Prozessen kam. Ich habe mich besonders für die Schicksale von unfreien Frauen interessiert – sie standen in der Machtstruktur noch unter den männlichen Sklaven und mussten enorme Widrigkeiten überwinden, um überhaupt eine Klage einreichen zu können. War die Freiheit aber vor Gericht einmal festgestellt, konnten die Kläger als freie Menschen leben – auch wenn die Gefahr einer Wiederversklavung, je nach Ort und Zeit, durchaus existierte.
Eine besonders tragische Geschichte ist die von Phene Phillips: Die Akten zu ihrem Fall geben Auskunft, dass sie aus Newburyport in Massachusetts stammte und dort bei der Witwe Sarah Weed als Sklavin lebte – zu Unrecht, wie sich herausstellte, denn Phenes Mutter war für ihr gutes Benehmen – „by her good behaviour“ – mit der Freiheit belohnt worden und hatte Phene als freie Frau geboren. Phene hatte also ein starkes Argument für ihre Freiheit vor Gericht. Wahrscheinlich wusste sie von ihrer „freien Geburt“, war sich aber nicht bewusst, wie sie sich rechtlich wehren konnte. Ihre Sklavenhalterin Sarah Weed beschwerte sich zunehmend über Phenes Verhalten, ihr „ungovernable temper“, und verkaufte sie schließlich in den Süden. Es ist durchaus möglich, dass sich Weed der drohenden Gefahr, die von Phene ausging, bewusst wurde, denn bei einem erfolgreichen Freiheitsprozess verloren Sklavenbesitzer sehr wertvolles Eigentum. Sie versuchten also häufig, sich durch einen Weiterverkauf rechtzeitig dagegen zu schützen.
In der fremden Umgebung hatte Phene wenig Möglichkeiten, sich für ihre Freiheit einzusetzen, denn sie brauchte vor Gericht aussagekräftige Dokumente oder Zeugenaussagen, die ihre freie Geburt bestätigten. Zwei Verkäufe musste sie über sich ergehen lassen, bis sie für längere Zeit bei einem Besitzer in Norfolk, Virginia, lebte. Im Jahr 1795, ungefähr zwanzig Jahre, nachdem Phene von Sarah Weed verkauft worden war, kam es zu einem schicksalsreichen Zusammentreffen, das in den Quellen detailliert beleuchtet wird: Abraham Mace aus Newburyport, Massachusetts, befand sich auf der Durchreise, als er in Virginia, einer Frau begegnete, die ihm bekannt vorkam. Er beobachtete sie eine Weile und rief dann ihren vermeintlichen Namen, um zu prüfen, ob es sich tatsächlich um Phene handelte. Auf seinen Ruf drehte sich die Frau um und erkannte Abraham Mace als Nachbarn aus ihrer Heimat Newburyport. Mace berichtete ihr, dass sie in ihrer Heimat bereits als tot gelte und sicherte ihr seine Unterstützung zu.
Kurze Zeit später gelang es Phene, sich vor Gericht auf ihre freie Geburt zu berufen – in der Akte finden sich detaillierte Zeugenaussagen, die Phenes Freiheit bestätigen, darunter auch die Aussage von Abraham Mace. Phene klagte „in forma pauperis“, ihr wurde also als Mittellose ein Rechtsbeistand zur Seite gestellt. Phenes Kampf vor Gericht wurde aber immer wieder verzögert, durch Unterbrechungen und Berufungen zog sich das Verfahren bis ins Jahr 1801. Nach dem Urteil des Gerichts in Norfolk erklärte auch der nächsthöhere District Court, dass Phene eine freie Frau sei. Als die Sklavenhalter daraufhin ein weiteres Mal in Berufung gingen, kam für Phene das Urteil zu spät: Sie verstarb, bevor das Gericht ihre Freiheit erklären konnte. Nicht nur für sie selbst, auch für ihre Kinder war die Verzögerung des Verfahrens eine Tragödie, denn durch einen Erfolg vor Gericht wären auch sie frei gekommen.