Die türkische Stadt Istanbul, ehemals Konstantinopel, gehört zu den geschichtsträchtigsten Orten der Welt. Was sich dort ereignet, ist nach wie vor von großem Interesse - jüngst beispielsweise im Zusammenhang mit der umstrittenen Umwidmung des Museums Hagia Sophia in eine Moschee. Auch die Proteste rund um den Gezi-Park im Herzen der Stadt fanden weltweit ein Echo und haben sich längst in die wechselhafte Geschichte dieser außergewöhnlichen Metropole am Bosporus eingeschrieben. Der Historiker Dr. Malte Fuhrmann vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient forscht schon lange zu Konstantinopel-Istanbul und hat dort unter anderem die Ereignisse am Gezi-Park persönlich miterlebt. Seine besondere Beziehung zu dieser Stadt hat ihn zu einem Buch über ihre Geschichte angeregt. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Kontinuitäten und Wandel werden erst in einer extrême longue durée richtig sichtbar"
L.I.S.A.: Herr Dr. Fuhrmann, Sie haben ein Buch über die Geschichte der Stadt Istanbul - von ihren Anfängen bis zur jüngsten Gegenwart geschrieben: Konstantinopel-Istanbul. Stadt der Sultane und Rebellen, so der Titel. Was fasziniert Sie an ihrer Geschichte? Was hat Sie zum Schreiben dieses Buches veranlasst? Warum ein Buch über diese Stadt?
Dr. Fuhrmann: Ich kam vor 28 Jahren das erste Mal in die Stadt, auf einer Fähre von Jalta. Bei der Einfahrt aus dem Schwarzen Meer in die Meeresenge des Bosporus, vorbei an den mittelalterlichen Burgen auf den Höhen zu beiden Seiten, merkt man, was für eine eigentümliche Landschaft diese Stadt beherbergt und wie die Lage – auf zwei europäischen und einer asiatischen Halbinsel, mit dem Meer dazwischen – die Geschichte und auch die jüngste Zeit geprägt hat. Ferner ist Istanbul eine Stadt, in der die Geschichte nicht auf ordentliche, museal gestaltete Sonderzonen beschränkt ist. Geschichte ist überall in der Stadt: Bei der aus dem fünftem Jahrhundert stammenden Landmauer gibt es beispielsweise am Pege- bzw. Silivri-Tor ein prunkvolles mittelalterliches Grabmal, das Obdachlose und Trinker als Unterschlupf nutzen. Ein klobiges, zwei Stockwerke hohes Gebilde, das heute zwischen zwei Wohnhäusern eingepfercht ist und das ich bei einem Spaziergang im Viertel Cerrahpaşa entdeckte, entpuppte sich als Sockel der Arkadios-Säule, die einst mit mehr als 50 Metern Höhe diesen Stadtteil überragte. Auch die Hans, die Geschäftszentren der osmanischen Periode, mit ihren trutzigen Mauern und großen Innenhöfen, die gleichzeitig als Herbergen für reisende Händler und Warendepots dienten, werden größtenteils noch immer wirtschaftlich genutzt.
Ich arbeitete bereits seit einigen Jahren an einem Buch zur Stadtkultur des östlichen Mittelmeers im neunzehnten Jahrhundert, insbesondere Izmirs, Thessalonikis und auch Istanbuls, als mich der Fischer-Verlag kontaktierte und um eine Monographie bat, die Konstantinopel-Istanbul von den Anfängen bis heute darstellt. Als typischer Historiker und Forschungsspezialist befielen mich zunächst die üblichen Zweifel: Wie soll ich mich in Epochen zurechtfinden, mit denen ich mich nicht schon jahrelang auseinandersetze und für die ich die Quellen nicht im Original lesen kann? Und wie soll man angesichts einer über die letzen 1700 Jahre so bedeutenden Stadt die Fülle des Materials in Griff bekommen? Letztendlich bin ich jedoch froh, dass ich mich an dieses Werk getraut habe, denn manche Kontinuitäten und mancher Wandel werden erst in einer extrême longue durée richtig sichtbar. Ich habe anhand der bisherigen Leser*- und Kritiker*innenreaktionen den Eindruck, die Probleme einer solchen Langzeitdarstellung ganz gut gelöst zu haben. Zum Einen habe ich nicht den Anspruch erhoben, die Stadtgeschichte enzyklopädisch abzuarbeiten, sondern handele oft mehrere Jahrhunderte eher knapp ab, um mich dann auf gewisse Perioden zu konzentrieren, zu denen die neuere Forschung teilweise spannende Einblicke erlaubt. Zum Anderen sollten die Bewohner*innen Istanbuls im Mittelpunkt stehen. Die Geschichte dieser Stadt lässt sich natürlich nicht ohne die Kaiser und Sultane schreiben, die hier die Hauptstadt zweier Weltreiche etablierten. Sie erschöpft sich aber auch nicht in einer Geschichte von oben, sondern wurde immer wieder auch von unten gestaltet.
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