L.I.S.A.: In Ihrem Buch sprechen Sie davon, dass Fremdheit vor allem konstruiert und durch die Biologisierung des Fremden rassistisch motiviert ist. Was genau meinen Sie damit? Haben Sie einige Beispiele?
Dr. Cakir: Mit dem Begriff „Biologisierung“ erinnere ich zunächst an den „wissenschaftlichen Rassismus“ („Rassialisierung“), der in Form eines biologischen Rassismus insbesondere seit Mitte des 19. bis in das 20. Jahrhunderts vorherrschte. Wie kann man sich den vorstellen? Man hat damals mittels anthropologisch-biologischer Hypothesen zum Mensch-Sein versucht, „angeborene Wesensmerkmale“ zwischen den unterschiedlichen Menschengruppen biologisch zu begründen, die zumeist phänotypisch bestimmt und mittels Projektionen mit bestimmten Bedeutungen versehen wurden. Aufgrund dieser mit Bedeutung versehenen, (phänotypischen) Merkmalen (beispielsweise Hautfarbe, Körperwuchs, Form des Schädels und der Nase etc.) wurden dann „die ganz typischen“ Rassenmerkmale und daraus abgeleiteten Verhaltens- und Lebensweisen oder die Intelligenz bzw. Charaktereigenschaften von Menschen (Rassen) bestimmt und damit die Ungleichwertigkeit zwischen Menschen gerechtfertigt und legitimiert. So schaffte man sich mit vermeintlich wissenschaftlicher Grundlage eine Rassen-Hierarchie, und zwar auf Grundlage der „Biologisierung der Differenz“. Zwar ist diese Form des Rassismus inzwischen passé, aber so ganz sind wir trotzdem den Rassismus nicht losgeworden. Heute haben wir es mit einer gewissermaßen ‚modernen’ Form zu tun, die in der Wissenschaft als „Neo-Rassismus“ bezeichnet wird. Das ist im Grunde gesagt ein „Rassismus ohne Rassen“, der natürlich Abstand nimmt von inzwischen als problematisch und als wissenschaftlich unhaltbaren rassenbiologischen Ansätzen. Dieser ‚Neo-Rassismus’ schlägt einen anderen Begründungsweg ein, um Ungleichwertigkeit zwischen den Menschen(-gruppen) zu rechtfertigen und Hierarchien zwischen Menschengruppen zu etablieren und Machtstrukturen zu zementieren.
Im Sinne einer Ideologie der Ungleichwertigkeit werden hier dann zur Begründung für Aus- und Einschließungspraktiken unterschiedliche Menschengruppen konstruiert und homogenisiert, deren Lebens- und Verhaltensweisen von ihrer kulturellen bzw. ethnischen Zugehörigkeit determiniert seien und deren Lebensweisen mit „unserer“ Kultur und Lebensweise nicht vereinbar sein sollen. Besonders zeigt sich dies gegenwärtig am Beispiel des Islam, anhand dessen ich den Vorgang der „Ethnisierung des Fremden“ illustriere. Hier wird die grundsätzliche Verschiedenheit zwischen Eigenem und Fremden postuliert, wobei, wie ich aufgezeigt habe, der Terminus ‚Ethnie’ gewissermaßen zunehmend als euphemistischer Ersatz für den kompromittierenden Begriff „Rasse’ steht.
Konnte man im Paradigma des biologischen Rassismus auf die unterschiedlichen Phänotypen als unerschütterliche Wahrheit (Evidenz) des Andersseins verweisen, beziehen sich im kulturalistisch-ethnizistischen Paradigma die Belege für die eigene Theorie vor allem auf inakzeptable Verhaltensweisen einzelner, als Muslim identifizierter Personen (wie Gewalt gegen, Frauen und Kinder etc.), oder im gewaltbereiten ideologisch verbrämten Islamverständnis radikaler Gruppen. Die von allen Seiten versicherte Friedfertigkeit der meisten Muslime bleibt aus dieser Logik eine Randnotiz. Vielmehr noch: Während die positiven Beispiele einzelner Muslime individualisiert werden (Du bist ja ganz anders), werden die negativ-Beispiele kollektiviert. Diese rassistische Logik ist deshalb so bestechend, weil sie scheinbar auf „unerschütterliche Wahrheiten“ verweisen kann.
Hier wird der jeweilige Mensch aufgrund der ethnisch aufgeladenen Differenzmarkierungen über Herkunft, Sprache, Eigennamen oder Lebensgewohnheiten und Kleidungsstil dem Islam zugeordnet, ganz gleich wie sich die so Gekennzeichneten selbst gegenüber dem Islam positionieren. Das heißt: zur Kennzeichnung einer Menschengruppe (mit Migrationshintergrund) aus islamisch geprägten Herkunftsländern wird nicht mehr auf deren soziale und gesellschaftliche Bezugspunkte rekurriert, sondern anhand von bestimmten sichtbaren Merkmalen in erster Linie auf deren Religion verwiesen. Wir haben es, so gesehen, gegenwärtig mit einem Prozess der „Ethnisierung des Islam“ zu tun. Dieser Prozess der Fremd- und Selbstverortung wurde in Anlehnung an Olivier Roy (2002) als „Neo-Ethnizität“ gefasst und im Zuge weiterführender Analyse der Begriff des „Ethnizismus“ von mir in die Debatte eingeführt.
Von einem solchen Ethnizismus wäre demnach zu sprechen, wenn im Sinne der Neo-Ethnizität sowohl Differenzkonstruktionen vollzogen werden, wie auch eine Semantik der Ungleichheit bzw. der Ungleichwertigkeit mit impliziten Vorurteilen bzw. Ressentiments vorzufinden ist. Die Besonderheit dieses „Ethnizismus“ besteht einerseits darin, in (schein-)humanitärer Absicht - d.h. in scheinbarer Distanzierung zu biologistischen Positionen des wissenschaftlichen Rassismus - die „Anerkennung der Unterschiedlichkeit“ und die „Gleichwertigkeit der Kulturen“ zu betonen. Andererseits wird mit dieser Argumentation „mixophobisch“ vor jeglicher Kulturvermischung bzw. einer potenziellen Auflösung kultureller Distanzen gewarnt. Eine solche Ethnifizierung muss (noch) nicht ideologisch im Sinne einer rassistischen Ideologie fixiert sein. Deshalb war hier zwischen dem „Islambezogenen Ethnizismus“ und einem „Antiislamischen Ethnizismus“ zu unterscheiden.
Der „Islambezogene Ethnizismus“ konstruiert lediglich eine Semantik der Ungleichheit, die sich mit simplifizierenden Vorurteilen (positiv wie negativ) und Typisierungen paart, die aber nicht per se von unkorrigierbaren Vorurteilen und einem geschlossenem Feindbild durchdrungen sind. Ganz im Gegenteil kann hier die Differenzkonstruktion mit der Forderung nach Toleranz einhergehen. Dennoch wird auch hier der jeweilige Mensch mit seiner Lebenswelt, seiner Weltauffassung und seinem Wertebekenntnis primär als Angehöriger der islamischen Religion gesehen, so dass die Religion als Differenzmarker einen Masterstatus bei der Zuweisung von Identität und Zugehörigkeit bekommt, ungeachtet dessen, wie die betroffene Person es mit es mit ihrer Religion hält.
Der „Antiislamische Ethnizismus“ schließt an den obigen Begründungszusammenhang an und meint das gesamte Spektrum negativer Einstellungen, das von diskriminierenden Vorurteilen bis hin zu offenen rassistischen Haltungen und Handlungen reichen kann. Er ist durch eine Ideologie der Ungleichwertigkeit mit impliziten unkorrigierbaren Vorurteilen und geschlossenen Feindbildern gekennzeichnet. Mit diesem ethnifizierenden Mechanismus zeigt sich - analog zur „Rassialisierung - ein wesentliches Charakteristikum von biologistischen Rassismen: die Tendenz zur „Entindividualisierung“ und „Entpersonalisierung“ (Bielefeldt 2010).
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass nicht jegliche Ethnifizierung - besonders diejenige, die nicht auf einer „Ideologie der Unvereinbarkeit und der Ungleichwertigkeit“ gründet - unmittelbarer ideologischer Ausdruck des Rassismus ist, aber als dessen primäres, vorausgesetztes Konstituierungsmerkmal anzusehen ist, während ein „Anti-islamischer Ethnizismus“ als differenzialistischer Rassismus zu betrachten ist.