Seit 1776 bildet die Bergakademie Freiberg – damals noch „Kurfürstlich-Sächsische Bergakademie zu Freiberg“ – Bergbauingenieure aus und ist damit die älteste noch bestehende montanwissenschaftliche Bildungseinrichtung der Welt. Ihre Absolventen waren weltweit gefragte Fachleute beispielsweise für die Lagerstättenerkundung, die Konstruktion komplizierter Maschinen für Förderung und Wasserhaltung oder für die Aufbereitung und Verhüttung. Es wundert also nicht, dass einige der ehemaligen Studenten im Anschluss an das Studium in Kolonien und Überseeterritorien zum Einsatz kamen. Der Historiker und langjährige Direktor des Stadt- und Bergbaumuseums Freiberg hat die Wege dieser kolonialen Akteure nachverfolgt und in seinem neuen Buch "Die Bergakademie Freiberg und das koloniale Montanwesen. Eine Studie über den Einsatz von Absolventen einer deutschen Hochschule in Kolonien vom Beginn des Lehrbetriebs 1766 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges" dargestellt. Dazu haben wir ihm unsere Fragen gestellt.
"In Sachsen nach Spuren des Kolonialismus suchen"
L.I.S.A.: Herr Dr. Thiel, in Ihrem Buch „Die Bergakademie Freiberg und das koloniale Montanwesen“ begeben Sie sich auf eine prosopographische Suche nach den Absolventen der Akademie und deren Einsatz in Kolonien. Was hat Sie bewogen, ein Buch über die koloniale Vergangenheit der Akademie beziehungsweise ihrer Absolventen vorzulegen, und wieso ist die Auseinandersetzung mit diesem Thema in Ihren Augen wichtig?
Dr. Thiel: Ein befreundeter Berliner Afrikanist regte mir gegenüber vor Jahren an, in meinem Forschungsumfeld, der Bergstadt Freiberg mit ihrer Region und dem erzgebirgischen Montanwesen, aber auch in Sachsen nach Spuren des Kolonialismus zu suchen. Wenn man die Augen dafür öffnet, offenbaren sich noch heute nicht wenige Zeugnisse unterschiedlichster Art in ganz beträchtlicher Zahl. Nur nebenher bemerkt, beginnt die Universität Leipzig gerade, sich in einem großen sachsenweiten Vernetzungsprojekt der Erfassung und Bewertung dieser Sachzeugen anzunehmen. Etliche Zeit später legte ich mir dann die Frage vor, ob es in der Vergangenheit der TU Bergakademie Freiberg mit ihren mannigfaltigen internationalen Verbindungen und ihrem zeitig hohen Ausländeranteil nicht ebenfalls koloniale Spuren gegeben haben könnte. Nach anfänglich mühsamen ersten Schritten bestätigte sich die Richtigkeit meiner Eingangsthese. Das Ergebnis überraschte mich aber dann doch. Ich konnte weit mehr als 200 Absolventen für den Untersuchungszeitraum namhaft machen, die aus Kolonien zum Studium nach Freiberg kamen und/oder nach Absolvierung der Ausbildung in eine solche gingen.
Einmal reizte mich das für Freiberg bis dato weitestgehend unbearbeitete Forschungsthema. Zum anderen bin ich der Auffassung, dass man sich diesem speziellen Gegenstand im Diskurs annähern muss, um diese Seite der Hochschulgeschichte – übrigens beileibe nicht nur der hiesigen Alma Mater – hinreichend zu beleuchten. Bei der Auseinandersetzung mit den Erscheinungen des Kolonialismus sind die Schattenseiten herauszuarbeiten, jedoch ohne dabei in eine Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen.