In Folge der nationalsozialistischen Diktatur flohen zahlreiche jüdische Historikerinnen und Historiker aus Deutschland und Österreich. In den USA avancierten sie schnell zu wissenschaftlichen Pionieren bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust. In Deutschland hingegen trafen die geflohenen Historiker zunächst auf Skepsis. Für Zeitgenossen und Fachkollegen, die in Deutschland geblieben waren, wurden sie, die sich für lückenlose Aufarbeitung und Demokratisierung einsetzten, gar zu unbequemen Erinnernern. Die Stipendiatin der Gerda Henkel Stiftung Dr. Anna Corsten, Friedrich-Schiller-Universität Jena, hat sich mit dem Leben und Wirken dieser Erinnerer befasst. Zu den Ergebnissen ihrer Forschung haben wir ihr unsere Fragen gestellt.
"Inwiefern die Fluchterfahrung die Arbeiten dieser Historiker geprägt hat"
L.I.S.A.: Frau Dr. Corsten, in Ihrem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Dissertationsprojekt haben Sie sich mit dem Wirken von aus NS-Deutschland geflüchteten Historikerinnen und Historikern beschäftigt. Herausgekommen ist nun das Buch „Unbequeme Erinnerer. Emigrierte Historiker in der westdeutschen und US-amerikanischen NS- und Holocaustforschung, 1945-1998“. Was hat Sie auf das Thema gebracht und welche Vorüberlegungen gingen dem Projekt voraus?
Dr. Corsten: Zum Ende meines Masterstudiums hatte ich die Möglichkeit, an den Leo Baeck Instituten in New York und London zu arbeiten. Dabei bin ich auf die Nachlässe einiger emigrierter Historiker aufmerksam geworden und habe in New York an der Columbia University weitere Nachlässe recherchiert. Zunächst hat mich die Frage interessiert, inwiefern die Fluchterfahrung die Arbeiten dieser Historiker und ihre Rezeption geprägt hat und wie sich nach 1945 ein wissenschaftlicher Austausch zwischen Deutschland und den USA etabliert hat. Bei weiteren Recherchen fiel mir auf, dass viele dieser heute mit zahlreichen Ehrungen versehenen Historiker in Westdeutschland lange kaum beachtet worden sind. Zwar gab es bereits einige Studien zu emigrierten Historikern, diese haben deren Leben und Wirken aber oft als Erfolgsgeschichte beschrieben und ihre Rolle als Mittler zwischen den USA und Westdeutschland hervorgehoben. Mir ging es darum zu hinterfragen, welche wissenschaftlichen Entwicklungen nötig waren, damit es dazu kommen konnte.