Eine Dokumentation von Hans Günter Thorwarth
Die Geschichte
Mit Beginn der Industrialisierung und der Gründung neuer Fabriken Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich viele Zuwanderer auch im Frankfurter Westen an. Die Zahl der Bevölkerung im Bauerndorf Nied und Städtchen Höchst wuchs rasant an. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der im gesamten Deutschen Reich eine große Zustimmung in allen Bevölkerungskreisen fand, wurden sowohl die „Alteingesessenen“ als auch die männlichen Einwanderer oder deren Söhne zum Militär eingezogen. In der Gemeinde Nied waren es analog zur Einwohnerstruktur in der überwiegenden Mehrzahl Fabrikarbeiter und Handwerker.
Quelle: Heimat- und Geschichtsverein Nied e.V.
Als am 11. November 1918 das Waffenstillstandsabkommen in Frankreich unterzeichnet wurde, waren in ganz Europa Millionen Tote zu beklagen. Es war die „Urkatastrophe“, der erste „Weltkrieg“ mit modernen Waffen, der unermessliches Leid und Elend über alle beteiligten Staaten brachte. Über 2 Millionen Tote in Deutschland, aus der Großstadt Frankfurt waren es über 14.000 Gefallene und Vermisste, davon aus Höchst und Nied weit über 900. Es gab auf beiden Seiten unzählige Verwundete und Verstümmelte. Wenn sich auch der Frontverlauf hauptsächlich in Belgien, Frankreich und Russland befand und dadurch viele zivile Opfer innerhalb der Bevölkerung forderte, herrschten in Deutschland und der Heimat – verursacht durch kriegsbedingten Mangel – Hunger und Entbehrungen.
Der Erste Weltkrieg war im November 1918 für die westlichen Vororte aber noch nicht vorbei. Kurz nachdem die letzten deutschen Soldaten im Dezember durch Höchst zogen, kamen die französischen Truppen. Sie gehörten zur Besatzungsarmee des „Mainzer Brückenkopfes“. Damit waren die Frankfurter Vororte Höchst mit den seit 1917 (zu Höchst) eingemeindeten Dörfern Unterliederbach, Sindlingen und Zeilsheim, sowie den noch selbständigen Gemeinden Nied, Griesheim und Schwanheim, französisch besetzt. Erst am 30. Juni 1930 konnte das Ende der Besatzungszeit, die für die Bevölkerung der betroffenen Stadtteile neben der wirtschaftlichen Not viele Unannehmlichkeiten und Repressalien bedeutete, groß gefeiert werden. Das Besatzungsamt in Höchst schloss am 31. Dezember 1930.
Quelle: Sammlung Günter Moos (Bild 1); Heimat- und Geschichtsverein Nied e.V. (Bild 2); Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (Bild 3)
Während im Deutschen Reich nahezu in jedem kleineren und größeren Ort Denkmäler zur Erinnerung an die Gefallenen errichtet wurden, war das anscheinend aus politischen Gründen in Höchst und Nied nicht möglich. Die Initiatoren waren zumeist – neben den kirchlichen und weltlichen Gemeinden – die örtlichen Krieger- und Veteranenvereine.
Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Januar 1933 war die Bevölkerungsstruktur in den westlichen Vororten Frankfurts, gerade auch in Nied, durch die hohe Anzahl von Handwerkern, traditionell gewerkschaftlich organisierten Fabrikarbeiter und SPD- oder KPD-Anhänger geprägt. Mit allen Mitteln versuchten die neuen Machthaber Fuß zu fassen. Zwischen Herbst 1933 und Frühjahr 1934 wurde ein großer Aufmarschplatz für die „Bewegung“ der gesamten westlichen Vororte an der Wörthspitze zwischen Nidda und Main mit Hilfe von Notstandsarbeitern angelegt.
Bald wurde auch ein Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges aus den beiden Stadtteilen geplant. Nach langer Standortsuche entschied man sich für den Platz des vormaligen, alten Nadelwehrs mit Schleuse am Mainufer. Nach zwei Ausschreibungen beauftragte der „Ehrenmal-Ausschuss“, der sich aus Mitgliedern der Veteranenvereine zusammensetzte, den Architekten Hermann Senf und den Bildhauer Prof. Richard Scheibe mit den Arbeiten. Das Bauwerk, das monumentale Ausmaße hatte, wurde aus Sandsteinquadern mit Hilfe von Notstandsarbeitern und örtlichen Firmen geschaffen. Am 18. April 1937 wurde das Ehrenmal unter großer Beteiligung der politischen Führung, sämtlicher NS-Formationen und hohen militärischen und zivilen Gästen aus allen Bevölkerungsschichten eingeweiht. Damit ging das Denkmal „in die Hände“ der Stadt Frankfurt über.
Quelle: Heimat- und Geschichtsverein Nied e.V.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die durch Kriegseinwirkung beschädigte Bronzefigur des „knienden, nackten Kriegers“, von Prof. Richard Scheibe, entfernt. Im Jahre 1953 bekam derselbe Architekt, Hermann Senf den Auftrag, das steinerne Ehrenmal gründlich zu renovieren und umzugestalten. Anfang der 1960er Jahre wurde der Zustand des Ehrenmals durch Verschmutzungen immer mehr zum Ärgernis in der Bevölkerung und für die zuständigen Ämter. Neue Mandatsträger befürworteten jetzt einen Abriss des „Nazibauwerks“. Anfang 1965 wurde das Ehrenmal bis auf die heute noch erhaltene „Terrasse“ abgebaut. Die Namenstafeln der Gefallenen von Höchst und Nied, die sich an den Innenwänden des Denkmals befanden, wurden auf den Friedhof in Höchst, Sossenheimer Weg verbracht. Hier sollten sie Bestandteil des neu geschaffenen Mahnmals für die Opfer des Zweiten Weltkrieges sein. Im Stadtteil Nied hatte man ein Jahr zuvor, 1964 ebenfalls ein neues Mahnmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege auf dem dortigen Friedhof aufgestellt.
Quelle: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (Bild 1); Thorwarth (Bild 2-5)
Das Buch
Die Dokumentation basiert auf den genealogischen Forschungen über einen im Ersten Weltkrieg gefallenen Familienangehörigen des Verfassers. Jakob Johann Thorwarth fiel im April 1918 in Frankreich, im Alter von 19 Jahren. Der Name stand auf einer Tafel im Ehrenmal an der Wörthspitze.
Der Hauptteil des Buches widmet sich ausführlich, in chronologischer Folge, der Geschichte des Ehrenmals. Angefangen von der Idee, der Planung, der Standortsuche, den Wettbewerben mit den Entwürfen des Baus, bis zur Einweihung am 18. April 1937. Durch die intensiven Recherchen werden Fragen und Spekulationen weitgehend beantwort und aufgeklärt: Wie sah das Ehrenmal früher wirklich aus, wie waren die Dimensionen? Wer waren die Initiatoren, welche Architekten und Künstler beteiligten sich an den Wettbewerben und welche Firmen führten die Arbeiten schließlich aus? Wie kam es überhaupt dazu, dass für die Stadtteile Höchst und Nied ein gemeinsames Ehrenmal errichtet wurde? Was war das Leitmotiv für dieses monumentale Denkmal und wer schlug ausgerechnet diesen Ort am Mainufer vor? Welche Personen trugen die weitere Verantwortung und begleiteten den Fortschritt des Bauwerks? Wie viel Geld hatte es gekostet und wer finanzierte das Denkmal? Wo ist die Figur des „knienden, nackten Kriegers“ von Prof. Richard Scheibe geblieben? Wer hat das Ehrenmal Anfang der 1950er Jahre renoviert und umgestaltet, wie viel Geld hatte das gekostet? Warum wurde es wenige Jahre später, Anfang 1965 bis auf eine „Terrasse“ am Mainufer niedergelegt? Wann und in welcher Weise wurde an die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges aus Höchst und Nied gedacht?
An Beispielen von Einzelschicksalen von Gefallenen des Ersten Weltkrieges aus Nied werden die „Helden“ dem Leser bekannt gemacht. Eine Liste sämtlicher Namen, die der Verfasser mit Hilfe verschiedenster Quellen recherchiert hat, befindet sich im ausführlichen Anhang. Der Inhalt des Buchs wird sich auch mit den geschichtlichen Ereignissen befassen, die sich jeweils „neben“ dem Ehrenmal abspielten. Die Einzelschicksale einiger bislang nicht gewürdigter NS-Opfer zwischen 1933 und 1945 werden stellvertretend für andere „Namenlose“ erwähnt. Es enthält außerdem eine ausführliche „Vor- und Nachgeschichte“, die einen Bezug auf die Geschichte des Standorts an der Wörthspitze nimmt. Angefangen von der Industrialisierung und dem Bau der „alten Schleuse“ gegen Ende des 19. Jahrhunderts, bis hin zur Neugestaltung der Grünanlagen am Mainufer in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts. Ein Großteil befasst sich ebenso mit dem Ursprung und der Geschichte von Gefallenen-Denkmälern: Beginnend in der Antike, über den dreißigjährigen Krieg, den Gedenksteinen und -Tafeln der napoleonischen Befreiungskriege, den Volks-Aufständen von 1848 bis zu den „National-Denkmälern nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870-71 und den Gefallenen-Denkmälern nach dem Ersten Weltkrieg. Nicht zu kurz kommt „der Blick über den Tellerrand“ zum Thema „Helden“ und Gefallene. Wie ging man in den Nachkriegsjahren in anderen Orten mit den Denkmälern der beiden Kriege von 1870-71 und 1914-1918 um? Auch die zivilen Opfer und NS-Verfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg werden nicht vergessen.
Am Schluss erfährt der Leser in einem persönlichen, aktuellen Erfahrungsbericht etwas über den heutigen Umgang in Politik und Gesellschaft mit dem ehemaligen Ehrenmal und den Namenstafeln der Gefallenen. Auch über einen Besuch des Verfassers am Grab des Jakob Johann Thorwarth auf einem deutschen Soldatenfriedhof in Frankreich wird berichtet. – Wie geht man in unserem Nachbarland mit seinen Gefallenen und dem „Grand Guerre“ um?
Quelle: Thorwarth
Aus einer Dokumentation über den „Umgang mit dem Ehrenmal“ ist eine veritable Zeitreise durch die Geschichte unserer Heimat geworden. Es war ursprünglich gar nicht beabsichtigt, dass das Buch so umfangreich wird. Nicht nur für Alt- und Neubürger der Stadtteile Höchst und Nied könnte die Publikation eine Ergänzung zur Geschichte unserer Heimat sein, sondern auch ein Beitrag zur Geschichte der Denkmäler und Gedenk-Kultur in Deutschland. Der Verfasser war neugierig und suchte Antworten auf Fragen. Er hat als „Hobby-Historiker“ mit seiner Dokumentation versucht, etwas Licht in die „dunkle“ Vergangenheit zu bringen um damit – hoffentlich – einen bescheidenen Beitrag zur Aufarbeitung der Heimatgeschichte zu leisten.
Im Anhang des Buches befindet sich neben der Liste der Gefallenen des Ersten Weltkrieges aus Höchst und Nied, weitere Erläuterungen „Daten, Fakten, Zahlen“ und statistische Informationen. Eine umfangreiche Personenliste und eine große Zeittafel runden die Dokumentation ab.
Bild: Thorwarth
© Die Dokumentation von Hans Günter Thorwarth ist im November 2012 im Eigenverlag erschienen. Das Buch enthält 407 Seiten mit 345 Abbildungen, Dokumenten und Plänen, viele davon in Farbe. Format DIN-A-4.
2. überarbeitete und aktualisierte Ausgabe, Oktober 2014 Hardcover, 412 Seiten, 346 Abbildungen, Format DIN-A-4.
Inhaltsverzeichnis
PDF download (59.34 KB)Das Projekt wurde in der 3. Staffel der StadtteilHistoriker von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf, und der Frankfurter Neuen Presse gefördert.
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Das Werk ist bis ins kleinste Detail gründlich recherchiert und erklärt allgemein verständlich komplizierte Zusammenhänge. Vielen Dank dafür dem Autor.
Rolf Dehler, Lüchow
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Mein Urgroßvater Wilhelm Bernhard WOLF ist im April 1917 in Frankreich gefallen. Sein Vater Peter Christian Wolf war Fabrikarbeiter, und aus Drommershausen zugezogen.
In der Sterbeurkunde seines Sohnes steht Nied, als Wohnort der Eltern.
Ich würde dieses Buch gerne erwerben. Ich war jetzt beim lesen und beim betrachten der Bilder sehr berührt, und vielleicht verstehe ich auch meine Familiengeschichte besser.
Peter Christian Wolf aus Nied, war ein zugewanderter Mann der sehr fleißig war und seine eigentliche Heimat Heldritt/Coburg als Taglöhner verlassen hat. Um über Umwege nach Nied zu kommen. Es interessiert mich sehr in welchen Umfeld meine Vorfahren gelebt haben.
Ich lebe in Wien, weil meine WOLF´S immer schon weitergezogen sind um Arbeit zu finden und eine Familie zu gründen.
Bettina Roidner,Wien
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Die Feste Kaiser Wilhelm II bei Mutzig im Elsass war die größte und modernste Festungsanlage seiner Zeit. Sie wurde zwischen 1893 und dem Ersten Weltkrieg erbaut und liegt etwa 20 km westlich von Straßburg. 7.000 deutsche Soldaten waren dort einst stationiert. Heute sie ein Symbol der deutsch-französischen Freundschaft.
Ein Film von Hans-Jürgen van Akkeren
http://youtu.be/JkLn7fY4U58
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Jens-Holger Jensen
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Vor 68 Jahren war der Zweite Weltkrieg offiziell zu Ende.
Das scheint heute aber allgemein kein Thema mehr zu sein.
Auch nicht in den Medien. Schon vergessen?
Mit nachdenklichen Grüßen
zum Christi-Himmelfahrt-Vater-Tag
Hans Günter Thorwarth
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[. . .] Das mir vorliegende, 407 Seiten umfassende Werk ist eine überaus fleißige, gründlich recherchierte Arbeit. Vom Kernthema des 1937 am Mainufer eingeweihten Höchst-Nieder Ehrenmals 1914-18 ausgehend, haben Sie in insgesamt 23 Kapiteln den im Titel vorgegebenen Fragenkatalog zu einer umfänglichen Dokumentation ausgestaltet, die ihresgleichen sucht.
Allein die Vorgeschichte in den ersten 5 Kapiteln zeigt, wie die Spuren der eigenen Vergangenheit zu lokalhistorischen Gegebenheiten führen, die der nachfolgenden Hauptgeschichte mit ihren 10 ins Detail gehenden Kapiteln das erforderliche „Entree“ geben.
Die Hauptgeschichte selbst ist in der Fülle der dargestellten Ereignisse und Fakten eine Fundgrube ortsgeschichtlich interessierter Leser, aber auch gewissermaßen ein „Nachschlagwerk“ für die NS-Zeit im Frankfurter Westen, das auch mit den Kapiteln der Nebengeschichte dienen kann.
In den drei Kapiteln der Nachgeschichte wird der Autor eher persönlich und spricht aus eigenen Erinnerungen und Erfahrungen. Die Anliegen der Friedensbewegung Ende der 70er Jahre sowie der 68er Studenten-Bewegung zur Frage des Militarismus und der Gerichte bei den „Soldaten-Urteilen“ über den juristischen Begriff des „Mordes“ kommen ebenso zur Sprache wie eine eventuelle Neugestaltung eines „Mahnmals“ auf der Wörthspitze.
Sämtliche Textbeiträge sind mit Fußnoten belegt, die nicht nur erläutern, sondern auch zu eigenen Nachforschungen, historischer und aktueller Herkunft, die dem Werk eine besondere Qualität verleihen. [. . .]
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[. . .] Sie haben ein wirkliches Geschichtsbuch, weit über das Hauptthema "Ehrenmal" hinausgehend, geschaffen, das mir, der ich fast die ganze Zeit miterlebt habe, sehr vieles wieder in Erinnerung zurück bringt.
Kaum jemand kann ermessen, welche Arbeit in einer solchen Dokumentation steckt und welche Mühe es erfordert, all die Ereignisse und Bilder zusammen zu tragen und aufzuarbeiten. Ohne Ihre Leistung wäre mit Sicherheit vieles in Vergessenheit geraten und für die Nachwelt verloren gegangen.
Ich danke Ihnen vielmals für Ihr Werk. Sie haben mir viel Freude bereitet. [. . .]
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Vor dem Hintergrund einer unscheinbaren Aussichtsterrasse verbirgt sich eine beeindruckende bald hundertjährige Geschichte in einem Zusammenhang mit Ereignissen weit über die Grenzen eines Frankfurter Vorortes hinaus.