Am 5. November ist der Historiker Prof. Dr. Hans Mommsen an seinem 85. Geburtstag gestorben. Mit ihm ist die bundesrepublikanische Ära deutscher Historiker verbunden, die noch zu jung war, um persönlich mit dem Nationalsozialismus verstrickt gewesen zu sein. Im Gegenteil: Hans Mommsen gehörte zu den neuen Historikern, die sowohl in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der NS-Diktatur als auch mit Blick auf den Habitus eines Hochschullehrers mit der Vergangenheit brachen. Die Historikerin Prof. Dr. Barbara Stambolis hat Hans Mommsen bereits als Doktorandin direkt am Lehrstuhl in Bochum erlebt. Wir haben Sie gebeten, mit uns in einem Interview zurück auf Leben und Wirken dieses prägenden Historikers zu schauen.
"Maßgeblichen Anteil an Etablierung und Ausbau einer kritischen Sozialgeschichte"
L.I.S.A.: Frau Professor Stambolis, Sie haben bei dem jüngst verstorbenen Historiker Prof. Dr. Hans Mommsen promoviert und standen auch danach noch im Austausch mit ihm. So haben Sie ihn unter anderem im Jahr 2010 für die Fachzeitschrift „Neue politische Literatur" interviewt. Wie erinnern Sie sich an den Menschen und an den Historiker Hans Mommsen?
Prof. Stambolis: Während meines Studiums und der Arbeit an meiner Dissertation in Bochum in den 1970er Jahren hatte ich die Gelegenheit, Veranstaltungen von Hans Mommsen zu besuchen und dann auch an seinem Examens- und Doktorandenkolloquium teilzunehmen. Letzteres war ausgesprochen anregend und anspruchsvoll. Die dort vorgestellten Themen waren breit gefächert. Hans Mommsen hatte damals maßgeblichen Anteil an der Etablierung und dem Ausbau einer kritischen Sozialgeschichte, die offen für interdisziplinäre Anregungen war. Er war mit einer der ersten, der nicht zuletzt durch seine Aufenthalte in den USA und die dort geknüpften Kontakte die Frage nach dem Einfluss des Wechsels der Generationen aufgegriffen hatte, und zwar im Zusammenhang mit der Geschichte der Weimarer Republik.
Aus diesem Zusammenhang heraus ergab sich auch meine Dissertation, die in der späteren Druckfassung den Titel „Mythos Jugend. Leitbild und Krisensymptom. Ein Aspekt der politischen Kultur im 20. Jahrhundert“ trug. Hans Mommsen regte das Thema an und begleitete die Entstehung der Studie kritisch, mit der ich mich zeitweise vor allem methodisch etwas überfordert sah. Er nannte pointiert eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Studie die Erkenntnis, dass der Generationenkonflikt ein „Leitmotiv“ der Weimarer Republik darstelle und „eine tiefe Legitimationskrise des politischen Systems“ widerspiegele. So klar hätte ich das damals nicht formulieren können. Erst später ist mir wohl bewusst geworden, was es bedeutete, bei Hans Mommsen das historische Handwerk zu erlernen. Zu meinen Lehrlingserfahrungen auf dem Weg zur Promotion als „Gesellenstück“ – wenn ich die Geschichtswissenschaft hier ein wenig salopp als „Handwerk“ bezeichnen darf – gehörten nicht nur die Einbindung in Kolloquien und Gespräche mit anderen Doktoranden sowie beratenden Kollegen aus dem Bochumer Historischen Institut, sondern auch manche „Schwellenrituale“, z.B. eigene Referate auf Konferenzen und Kongressen, erste Schritte gleichsam in bis dahin verschlossene akademische Räume, die nicht selten als „heilige Hallen“ erschienen, die zu betreten einigen Mut erforderte.
Rückblickend würde ich auch heute noch wiederholen können, was ich im Jahre 2004 während einer Lehrstuhlvertretung einleitend zu einem Vortrag von Hans Mommsen gesagt habe, zu dem er sich hatte einladen lassen: Er habe mir gezeigt, was die Professionalität und Qualität in der Beschreibung und Darstellung von Sachverhalten bzw. Zusammenhängen ausmacht und was analytisches Deutungsvermögen sowie Urteilsfähigkeit bedeutet. Ich habe bei ihm gelernt, die eigenen fachlichen Möglichkeiten nicht zu überschätzen. Ich habe verstanden, dass zwischen einer gewissen handwerklichen Fertigkeit und brillanter Professionalität Welten liegen.
Erst eine geraume Zeit später, als ich auf Umwegen in das universitäre Umfeld zurückgekehrt war, hat sich intensiverer Austausch mit Hans Mommsen ergeben. Seit einigen Jahren habe ich ihn auch am Starnberger See einige Male besucht. Er war ein wunderbarer Gastgeber und konnte im Hintergrund ermutigend die Entstehung einiger Projekte begleiten. Zusammenhängen zwischen seinen persönlichen Erfahrungen und seinen Forschungsfragen habe ich mich erst in der Vorbereitung des oben bereits angesprochenen Interviews 2010 sowie einer kollektivbiographischen Studie zum Jahrgang 1943 deutscher Historiker zugewandt, in der die von mir Befragten sich ausführlich zur Generation ihrer akademischen Lehrer äußerten, zu denen nicht zuletzt Hans Mommsen gehörte.
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