L.I.S.A.: Im Gegensatz zu den schönen Körpern stehen die hässlichen, die sie als groteske Körper untersucht haben. Etwas ist grotesk, wenn es durch Übersteigerung oder Verzerrung komisch und zugleich unsinnig wirkt. Können Sie anhand von zwei oder drei Beispielen erläutern, wofür diese makelbehafteten Körper standen? Warum haben sich Bildhauer überhaupt damit beschäftigt? Machten sich die Künstler über etwas lustig? Verbarg sich darin möglicherweise eine unausgesprochene Kritik?
Dr. Meintani: Es sollte betont werden, dass der Begriff "grotesk" auf jeden Fall problematisch ist, da er anachronistisch verwendet wird. In der Antike gab es diesen Begriff nicht. Er kommt erstmals Ende des 15. Jahrhunderts mit der Entdeckung der Wand- und Deckendekorationen der Domus Aurea, des Palastes des Nero, auf. Der unterirdische Palast Neros hatte höhlenartige Gänge und ausgefallenen Fresken, die eine Vielzahl fantastischer Kreaturen und Mischwesen zeigten. Kenner tauften diese Kunstform grottesche, wörtlich zu einer Höhle (Grotte) gehörend, wegen der unterirdischen Lage der Stätte. Es versteht sich von selbst, dass der Begriff Grotesken in den folgenden Jahrhunderten seine ursprüngliche Bedeutung völlig verlor. Er bezeichnete nicht mehr die verschiedenen skurrilen Kreaturen, die die Wandmalereien antiker römischer Bauten durchzogen, sondern schlich sich in verschiedene Kunstgattungen ein und wurde mit einer breiten Palette von Eigenschaften assoziiert, wie dem Karikaturistischen, dem Lächerlichen, dem Absurden, dem Bestialischen, dem Obszönen, dem Respektlosen, dem Überschwänglichen, dem Schrecklichen, dem Dämonischen und so weiter. In der Einleitung meines Buches bezeichne ich als groteske Figuren solche, die durch ihr deformiertes und abscheuliches Aussehen oder ihre Körpersprache den klassischen Kanon des schönen Körpers, den antiken Körper schlechthin, grausam verletzen und untergraben.
Ich würde diesen Kunstwerken Unrecht tun, wenn ich versuchen würde, ihre Funktion in ein paar Zeilen zu erklären. Genau das ist eines der Hauptargumente des Buches: Diese Bilder werden jeder monolithischen Theorie widersprechen; sie werden immer ein Loch in unserem gedanklichen Netz finden, da sie sich jedem Versuch entziehen, sie in eine erklärende Zwangsjacke zu zwingen. Wir haben es mit verschiedenen Gruppen zu tun und diese überschneiden sich in ihren verschiedenen Funktionen und schließen sich nicht gegenseitig aus. Was man im Großen und Ganzen sagen kann, ist, dass die Handwerker nicht massenhaft Figuren produzierten mit der Absicht, körperliche Deformationen negativ zu konnotieren und mit körperlichen Deformationen Dargestellte abzuwerten. Im Gegenteil: Diese Objekte trugen für ihre Käufer positive Bedeutungen.