In seinem Hauptwerk "Geschichte der Kunst des Alterthums" von 1764 schreibt der Archäologe und Kunstgelehrte Johann Joachim Winckelmann: "Es kann leichter von der Schönheit gesagt werden, was sie nicht ist, als was sie ist." Missgestaltete Körper, die makelbehaftet waren und keinen Sinn für Proportionen aufwiesen, galten als nicht schön beziehungsweise als hässlich und widersprachen dem Schönheitsideal im Altertum. Dennoch gab es sie - auch in der damaligen Bildhauerkunst. Die klassische Archäologin Dr. Anastasia Meintani hat sich in ihrer von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Dissertationsarbeit mit grotesken Körpern und Statuetten der griechisch-römischen Antike beschäftigt und diese in ihrer Mannigfaltikeit erforscht. Inzwischen liegt ihre Studie als Buchpublikation vor. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Diese Statuetten wieder in ihren sozio-historischen Kontext setzen"
L.I.S.A.: Frau Dr. Meintani, in Ihrem Dissertationsprojekt haben Sie verformte körperliche Darstellungen in der griechisch-römischen Antike erforscht. Nun ist Ihre Arbeit unter dem Titel "The Grotesque Body in Graeco-Roman Antiquity" erschienen. Bevor wir uns mit einigen Einzelheiten beschäftigen - wie kommt man zu so einem Thema? Welche Beobachtungen und Überlegungen haben Sie zu Ihrem Thema geführt?
Dr. Meintani: Wenn man an das antike Griechenland denkt, dann denkt man an wohlgeformte, schöne Körper. Diese Bilder beherrschen die Vorstellung und sind allgegenwärtig. Das ist das, was wir kennen (oder ganz selbstverständlich zu kennen meinen). Und das hat mich motiviert, in meinen Forschungen den Gegenpol zu untersuchen.
Dieses ursprüngliche Interesse wurde noch verstärkt, als ich feststellte, dass fast alle der wenigen Werke, die dem grotesken Körper gewidmet sind (nota bene: die meisten davon sind nicht veröffentlicht, sondern nur online zu finden), diesen mit negativen Bedeutungen verbinden. Glücklicherweise haben in den letzten Jahren einige Aufsätze den Weg für eine Neubewertung zumindest einiger Gruppen geebnet. Die seit langem bestehende Produktion grotesker Bilder in der hellenistischen und römischen Zeit, ihre schiere Menge, ihre zuweilen hohe Qualität und ihr Vorkommen in häuslichen Räumen, Heiligtümern und Bestattungskontexten inter alia ließen mich in eine andere Richtung denken. Mein Ziel war es, zu untersuchen, ob moderne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unsere moderne Ästhetik und unsere Fetischisierung des antiken, idealen männlichen Körpers weitgehend auf die antiken Bilder projiziert haben. Mit anderen Worten: Ich wollte diese Statuetten wieder in ihren sozio-historischen Kontext setzen und sie in diesem Kontext verstehen. Damit soll nicht behauptet werden, dass die Menschen der Antike nicht von Schönheit und Perfektion besessen waren. Zugleich aber hatten sie auch eine Vorliebe für das Groteske.