Sie liegen an jedem größeren Zeitungskiosk aus – reichlich bebilderte Geschichtsmagazine, die mit historischen Themen und Persönlichkeiten aufmachen. In ihrer Darstellung und Verbreitung unterscheiden sich diese "Special Interest"-Magazine zwangsläufig von wissenschaftlichen Zeitschriften und sprechen ein breites, historisch interessiertes Publikum an. Doch welches Verhältnis besteht eigentlich zwischen diesen populären Magazinen und den Geschichtswissenschaften? Welchen Themen widmen sich die Beiträge und wie werden die Inhalte präsentiert? Und welche Schlüsse lassen sich für die Wissensvermittlung in der Geschichtswissenschaft und -didaktik ziehen? Prof. Dr. Susanne Popp und Dr. Jutta Schumann haben sich im Rahmen des Forschungsprojekts EHISTO auf internationaler Ebene mit populären Geschichtsmagazinen beschäftigt. Wir haben Sie zu den Ergebnissen befragt.
"Magazine treffen den 'populären' Geschmack und formen ihn damit auch"
L.I.S.A.: Frau Prof. Dr. Popp, Frau Dr. Schumann, Sie haben sich in Ihrem Forschungsprojekt populären Geschichtsmagazinen gewidmet. Vielleicht zunächst der Versuch einer Genre-Bestimmung: Was fassen Sie unter diesem Begriff? Was macht das „Populäre“ dieser Magazine aus?
Prof. Popp / Dr. Schumann: Das sind zwei Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind, denn hinter dem Begriff „Geschichtsmagazine“ verbirgt sich eine große Bandbreite von illustrierten Print- und manchmal auch Online-Zeitschriften, die in der Regel unter kommerziellen Gesichtspunkten produziert werden, die periodisch erscheinen, auf ein breites Publikum ausgerichtet sind, auch am Kiosk und im Supermarkt angeboten werden und sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen und mit vielfältigen Zugriffsweisen dem Thema „Geschichte“ zuwenden. So können z. B. so genannte “Special Interest“-Magazine, die sich ihrem Anspruch nach mit dem Thema Geschichte in seiner ganzen Breite beschäftigen, von “Very Special Interest“-Magazinen unterschieden werden, die sich auf einen ganz bestimmten Themenbereich der Geschichte spezialisieren, wie z. B. die Antike oder auch die Geschichte der Automobile. Ein besonderer Fall sind dabei so genannte „militärgeschichtliche Magazine“, die nicht selten die Linie zu ideologisch rechts ausgerichteten Publikationen überschreiten. Für unser international vergleichendes Projekt haben wir uns ausschließlich auf „Special Interest“-Magazine konzentriert, doch erscheint auch eine Untersuchung bestimmter Sparten der „Very Special Interest“-Magazine für die Zukunft interessant.
Eine weitere Unterscheidung ergab sich aus der Analyse von rund 1.000 Titelblättern, die in acht Länder-Studien untersucht wurden: Es gibt im „Special Interest“-Bereich einerseits Magazine, die die „Geschichte“, die sie präsentieren, insofern an ein wissenschaftliches Verständnis anbinden, als sie HistorikerInnen als AutorInnen gewinnen (z.B. Damals), während am anderen Ende des Spektrums „Geschichte“ offenbar als unerschöpfliche journalistische Quelle für – sich in einer Endlosschleife wiederholende – „Human Stories“ über historische „Celebrities“ und „prominente“ Ereignisse aufgefasst wird, die in der öffentlichen Geschichtskultur stark verankert und in der Medienlandschaft breit verhandelt werden. Nicht die wissensorientierte und reflektierende Auseinandersetzung mit Geschichte scheint im Mittelpunkt dieses boulevardesken Zugriffs zu stehen, sondern die Weckung von Sensationslust, das Erregen von voyeuristischer Neugier und das Versprechen von Spannung, die sich hier eben des Reservoirs historischer Themen bedienen. Umgekehrt aber kann sich der „Gebrauch der Geschichte“ durch die Magazinkultur auch auf andere Formen der Unterhaltung und des Genusses richten, wie z.B. ästhetische Erfahrungen, nostalgische Emotionen oder die Selbstattributierung des Rezipienten mit dem „Niveaumilieu“ (Schulze), ohne dass dabei das eigentliche Ziel einer vertieften Auseinandersetzung mit der Vergangenheit notwendig im Zentrum stehen muss.
Noch schwieriger ist die Beantwortung der Frage, was man unter „populär“ verstehen soll. Grundsätzlich weist der Begriff des „Populären“ im Zusammenhang mit kulturellen Phänomenen eine so große Bedeutungsvielfalt auf, dass manche kulturwissenschaftlichen Abhandlungen ganz darauf verzichten, ihn zu definieren. „Populär“ kann z. B. im quantitativen Sinne einfach nur eine weite Verbreitung suggerieren, der Begriff kann aber auch als Opposition zwischen einer als kulturell anspruchslos empfundenen Unterhaltungskultur im Vergleich zu einer als anspruchsvoll attribuierten „Hochkultur“ verstanden werden. Der Begriff kann ferner eine Protest- oder auch eine traditionell-folkloristische Kultur kennzeichnen, oder „populär“ heißt einfach nur, dass es sich um ein Produkt der kommerzialisierten Kulturindustrie handelt, die den Massenkonsum im Blick hat. Wir haben den Begriff in unserem Projekt im Sinne einer Erhöhung der Zugänglichkeit von kulturellen Phänomenen auch für Kommunikationspartner mit geringerem „kulturellen Kapital“ interpretiert. Dieser Ansatz zielt darauf, die Dichotomie zwischen „trivial culture“ and „high culture“ aufzuheben, indem für die Kulturproduzenten und die Kulturkonsumenten ein Kontinuum von mehr oder weniger verfügbarem „kulturellem Kapital“ angesetzt wird. In diesem Sinne wird „populär” ein Kulturprodukt genannt, wenn es die Zugangsbarrieren für Kommunikationspartner mit geringerem „kulturellem Kapital“ absenkt. Damit ist keine Aussage über den kulturellen Anspruch, den quantitativen Erfolg, die politische Intention oder die Zuordnung zu „traditionell“ bzw. „modern“ gemacht; auch wird nicht unterschieden, ob das kulturelle Produkt der kommerziellen Kulturindustrie entstammt oder nicht.
Wenn man die Frage nach dem „Populären“ der Geschichtszeitschriften ausgehend von diesem Ansatz zu beantworten versucht, so heißt dies, dass die Magazine sich dadurch auszeichnen, dass sie die soziokulturellen Zugangsbarrieren für Geschichtsinteressierte niedrig halten: z. B. durch die umfangreiche und vielfältige Illustrierung der Hefte, durch ein ansprechendes, aufmerksamkeitslenkendes und Relevanz setzendes Layout, anschlussfähige, d.h. aus der Medienwelt vertraute, Themen, durch die Nutzung bestimmter, oft Spannung, aber auch Nähe erzeugender Erzählmuster, durch das Sprachniveau, das u.a. Fachtermini vermeidet, durch eine geringe Anzahl oder das Fehlen von Fußnoten etc. Das sind Botschaften an die potentiellen KäuferInnen/LeserInnen mit dem Versprechen, dass der Zugang zu historischem Wissen und die Beschäftigung mit Geschichte leichtgängiger und unterhaltender gestaltet sind, als dies üblicherweise in der Wissenschaft und damit in Fachpublikationen der Fall ist.
Für uns als GeschichtsdidaktikerInnen sind vor diesem Hintergrund natürlich nicht nur die von den Magazinen genutzten Methoden zur Vermittlung historischen Wissens interessant, sondern uns interessiert auch ihre Rolle als Teil der gesellschaftlichen Geschichtskultur. Geschichtsmagazine gelten dementsprechend, ähnlich wie viele andere Produkte der Geschichtskultur, als Medien, die den „populären“ Geschmack einerseits treffen wollen und ihn damit andererseits auch formen. Sie greifen populäre Strömungen (z. B. im Fernsehen, Kino, Buchbestseller) innerhalb der Gesellschaft auf, machen sich diese zu Nutze machen und tragen damit zur weiteren „Popularisierung des Populären“ bei. Auch in diesem Zusammenhang spielt also der Begriff des „Populären“ eine Rolle, wobei wir als Geschichtsdidaktikerinnen hier eben die Geschichtsmagazine als geschichtskulturelles Massenprodukt untersuchen, das Rückschlüsse auf verbreitete Geschichtsvorstellungen zulässt, die im kollektiven Gedächtnis der nationalen Geschichtskulturen verankert sind. Insofern war es auch eine wichtige Frage in unserem Forschungsprojekt, was denn das nun eigentlich für ein Wissen ist, das von den Geschichtsmagazinen an das Publikum weitergegeben wird. Wird hier Wissen aus der wissenschaftlichen Forschung „popularisiert“ oder generieren Geschichtsmagazine als Teilbereich der Geschichtskultur relativ unabhängig von aktuellen Forschungsthemen der institutionalisierten Wissenschaft eigene Wissensinhalte, die für ein breites Publikum anschlussfähig sind? Ein Vergleich über fünf Jahre, der die Themen von Geschichtsmagazinen und wissenschaftlichen Zeitschriften nebeneinander stellt, stützt die Annahme, dass die Themenwahl der Magazine erheblich mehr an der aktuellen Geschichtskultur als an einem – zu „popularisierenden“ – Fortschritt der Geschichtswissenschaften ausgerichtet ist.