Kino ist mit Hollywood unmittelbar verbunden. Hollywood jedoch meint mehr als nur einen Spielfilm - es verkörpert eine Weltsicht. Dabei spiegelt es diese nicht nur wieder, sondern bringt sie auch in Umlauf und verkörpert dabei eine bestimmte kulturelle Rolle des Kinos. Doch wie relevant ist Hollywood als zentrale Gestalt des Erzählkinos in Zeiten des Post Cinema noch? Was macht es weiterhin interessant?
Mit Professor Dr. Lisa Gotto, Professorin für Theorie des Films an der Universität Wien, und Dr. Sebastian Lederle, wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Fachbereich Medienwissenschaft der Bauhaus-Universität Weimar, sprachen wir im L.I.S.A.Interview über die Theorie- und Anpassungsfähigkeit einer Branche, die durch seine Filme exemplarisch vorführt, was Kino sein kann.
"Hollywood ist Tradition und Innovation, Imitation und Irritation, Redundanz und Reflexion"
L.I.S.A.: Ihr gemeinsam veröffentlichter Band „Hollywood im Zeitalter des Post Cinema“ besteht aus mehreren Essays zur kritischen Bestandsaufnahme des Hollywood-Kinos, denn Hollywood ernst nehmen bedeutet, es zu kritisieren, wie Sie schreiben. Bevor wir dazu im Einzelnen kommen, was fasziniert Sie beide am Hollywood-Kino? Woher kommt Ihr Interesse?
Dr. Lederle: Ich kann den Beginn meiner Faszination für das Hollywood-Kino an drei Filmen festmachen, die ich in meiner Jugend gesehen habe. Da ist einmal Spielbergs Jurassic Park von 1993. Über den redeten in der Schule damals alle. Und alle hatten ihn natürlich im Kino gesehen, nur ich nicht. Ich musste die Buchvorlage lesen, weil ich mir das nicht anschauen durfte. Dann sah ich an einem Nachmittag zufällig die Verfilmung von Harper Lees Roman To Kill a Mockingbird von Robert Mulligan und war sofort von Gregory Peck eingenommen. Schließlich kam noch Michael Manns Heat von 1995 hinzu, der Al Pacino und Robert de Niro in einer dramaturgisch genial inszenierten, sich in ihrer Spannung steigernden Jagd durch L.A. zeigt. Auch diesen Film musste ich mir damals von der Stadtbücherei als VHS-Kassette ausleihen, weil ich dafür nicht ins Kino durfte. Erst sehr viel später habe ich realisiert, dass an der Begegnung mit diesen Filmen viel Bezeichnendes und Typisches für den Umgang und den Zugang mit Film haftet. Die frühen 1990er waren schon längst keine Zeit der unangefochtenen Allgegenwart des Kinos mehr, wie die Videokassetten bezeugten, wohl aber seiner Helden und visuellen Eindrücklichkeit: Der intermediale Transfer von gelesenen in digital animierte Dinosaurier war etwas, wofür die Leinwand, zumindest das Spektakelkino, wie geschaffen schien. Und wer wollte zumindest als Teenager nicht auch einmal so abrechnen wie Vincent Hanna, als er in einer Szene seinem Unmut Luft macht, die Postmoderne mit einem Satz abfertigt und wenig später seinen geliebten Fernseher auf die Straße wirft? Allerdings war das auch eine hegemoniale Männlichkeit, in die ich glücklicherweise nie wirklich hineingeraten bin. Atticus Finch war um vieles sympathischer als etwaiges Vorbild. Da gingen dann schon die komplizierten und wichtigen Fragen los nach Rassismus, Exklusion und Diskriminierung, und ich habe irgendwann auch gemerkt, dass ich zwar ein weißer Mann bin, aber kein weißer Solipsist sein will.
Professor Gotto: Für mich gibt es einen Film, der ungefähr alles, was mich an Hollywood fasziniert, wie in einem Brennglas bündelt: Imitation of Life (Douglas Sirk, USA 1959). An diesem Film ist eigentlich alles zu groß und zu grell: aufwändige Ausstattung, krasse Kostüme, knallige Technicolor-Farben. Leben und Tod, Liebe und Gewalt, Blut und Tränen: ganz große Gesten, ganz große Gefühle – ganz großes Kino. Gleichzeitig bricht sich das alles in ständigen Umkehrungen und Spiegelungen: Jede Imitation ist zugleich eine Irritation. Die Formensprache des Films weist ihn einerseits als Industrieprodukt aus, andererseits betont Douglas Sirk aber auch stets die Gemachtheit dieser Kunst-Welt. Die Artifizialität der Formen und Figuren wird uns immer wieder vor Augen gefügt, sie ist stilisierter Kunst-Stoff. Insofern liegt die Leistung des Melodrams, wie Sirk es vorführt, in seinem Scheitern. Der Film versucht gar nicht erst, die auf der narrativen Ebene aufgeworfenen Probleme zu lösen, sondern exponiert sie in all ihrer komplexen Widersprüchlichkeit. Das Große, ja Großartige von Imitation of Life liegt in einem Zugang, der den massenkompatiblen Anspruch des Hollywoodkinos durch die Offenlegung all jener Mittel, die es zu seiner Verfertigung benötigt, kritisch hinterfragt. Darin zeigt sich einerseits die Robustheit Hollywoods (der Film ist klassisches Genre-Kino, eine hochbudgetierte Studio-Produktion mit Starbesetzung, kommerziell sehr erfolgreich), andererseits aber auch seine Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit (etwa hinsichtlich seiner Anschlussfähigkeit für das Autorenkino, man denke etwa an Rainer Werner Fassbinders große Bewunderung für Sirk). Hollywood ist Tradition und Innovation, Imitation und Irritation, Redundanz und Reflexion. Immer noch, immer wieder, immer weiter.
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Kommentar
Ein hervorragender Satz. Mal sehen, wie lange er stehen bleiben darf und ob er gerade noch so die Grenze des Sagbaren erfüllt. Immerhin leben wir in einer Welt, in der selbst Bismarks Hamburger Denkmal in der Kritik steht. Es freut mich, dass es noch Menschen gibt, die sich gegen den Barbarismus der momenanen Bilderstürmerei wehren.