Nach 1945 und mit Ende des Nationalsozialismus in Deutschland stand die Kulturbranche, unter anderem die Fotografie, vor der Herausforderung, sich neu organisieren und strukturieren zu müssen. Erschwert wurde dieser Prozess insbesondere durch die Auflagen der Besatzungsmächte, sodass der Wiederaufbau der Fotoszene erst in den 1950er-Jahren einsetzte. Mit dieser besonderen Phase in der Fotografie-Geschichte beschäftigt sich Clara Bolin in ihrem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Promotionsprojekt. Konkret betrachtet die Kunsthistorikerin die Gruppe "fotoform", in der sich 1949 sechs westdeutsche Fotografen zusammenschlossen. Im Interview wollten wir daher von der Doktorandin wissen, was das Besondere der Gruppe ist und warum sich die Auseinandersetzung mit den fotografischen Ausstellungen der 1950er-Jahre lohnt.
"Sie teilten ein Interesse für abstrakte und experimentelle Fotografie"
L.I.S.A.: Frau Bolin, Sie forschen in einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Promotionsprojekt zu den fotografischen Ausstellungspraktiken der 1950er-Jahre und betrachten dabei die Gruppe „fotoform“. Könnten Sie eingangs kurz erläutern, um wen es sich bei der Gruppe handelt? Was ist das Besondere und warum glauben Sie, lohnt sich die wissenschaftliche Beschäftigung?
Bolin: Bei der Gruppe „fotoform“ handelt es sich um sechs westdeutsche Fotografen, Peter Keetmann, Siegfried Lauterwasser, Wolfgang Reisewitz, Toni Schneiders, Otto Steinert und Ludwig Windstosser, die sich im Sommer 1949 zusammenschlossen. 1951 kamen Heinz Hajek-Halke und der schwedische Fotograf Christer Strömholm hinzu. Sie teilten ein Interesse für abstrakte und experimentelle Fotografie und versprachen sich von der Gruppenorganisation einen inhaltlichen Austausch, aber auch höhere Sichtbarkeit in Ausstellungen. Das gelang ihnen: Zwischen 1950 und 1952 haben sie an 24 Ausstellungen teilgenommen, darunter 15 im Ausland, was deutlich zeigt, dass es ein internationales Interesse an abstrakter westdeutscher Fotografie nach 1945 gab. Obwohl „fotoform“ kanonisiert ist, gibt es keine umfassende Studie. Anhand ihrer Ausstellungen lässt sich diskutieren, in welche Diskurse Fotografie nach 1945 eingebunden war und welche internationalen Verbindungen sich daran ablesen lassen.