Die Sprache und deren tagtägliche Anwendung ist zu einem Politikum geworden. Wer sich in der Öffentlichkeit zu politisch und gesellschaftlich umstrittenen Themen äußern möchte, kann sich allein schon durch ein unbedachtes Vokabular angreifbar machen. Die Sensibilitäten für korrekte Bezeichnungen sind hoch, Identität und die Rücksicht auf die jeweilige von ausschlaggebender Bedeutung. Mit dem Effekt, dass wir uns nicht mehr zutrauen, uns gegenseitig als erwachsene Menschen anzusprechen, meint der Philosoph und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Robert Pfaller in seinem aktuellen Buch "Erwachsenensprache". Eher treffe das Gegenteil zu und führe zu eine Infantilisierung von Sprache und Verhalten. Wie das genau zu verstehen ist, dazu haben wir ihm unsere Fragen gestellt.
"Die eigenen Besonderheiten und Empfindlichkeiten hinter sich lassen"
L.I.S.A.: Herr Professor Pfaller, in Ihrem jüngsten Buch „Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur“ argumentieren Sie, dass sich die Sprache, über die wir informiert werden und über die wir uns mitteilen, die Sprache von Kindern bzw. von Nicht-Erwachsenen sei. Könnten Sie eingangs bitte ein oder zwei Beispiele nennen? Und was ist dagegen Erwachsenensprache?
Prof. Pfaller: Kindlich ist zum Beispiel die in aktuellen Sprachpolitiken wirksame Idee, man könnte böse Worte einfach durch gute Worte ersetzen. Ebenso kindlich ist das Erstaunen darüber, dass die vermeintlich guten Worte dann immer schon nach kurzer Zeit selbst als böse erscheinen. Besonders infantil - und infantilisierend - ist es zum Beispiel, wenn man in den USA meint, sogar erwachsene Menschen vor sogenannter "erwachsener Sprache" ("adult language") warnen zu müssen. Diese massive Propaganda der "Sensibilisierung", die dazu führt, dass auch Volljährige sich selbst plötzlich die Empfindlichkeit etwa eines 4-Jährigen zuschreiben, ist meines Erachtens ein neoliberaler Versuch der Privatisierung des öffentlichen Raumes. Sämtliche Formen vernünftiger, mündiger Bürgerlichkeit sollen damit außer Kraft gesetzt werden. Es soll keine erwartbaren Standards der Verständigung und der Solidarität mehr geben.
Meine Parole von der "Erwachsenensprache" ruft dem gegenüber in Erinnerung, dass Erwachsenheit in Europa zum Glück noch als eine Tugend gilt (während das Adjektiv "adult" in den USA meist etwas Anstößiges bezeichnet). Erwachsen mit einander zu sprechen, bedeutet, die eigenen Besonderheiten und Empfindlichkeiten hinter sich zu lassen, um stattdessen das in den Blick zu nehmen, was die Diversen trotz aller Unterschiede gemeinsam haben könnten: ihre Interessen. Eine wichtige Voraussetzung dazu bildet die Erinnerung daran, dass Erwachsene durchaus in der Lage sind, mit kleinen Unannehmlichkeiten, etwa sogenannten "Mikroaggressionen", selbst fertig zu werden. Wohingegen es die Aufgabe der Politik ist, jene Dinge zu regeln, welche die Individuen nicht von sich aus beeinflussen können - zum Beispiel die Finanzmärkte.