L.I.S.A.: Welche Rolle spielte dabei der Deutsche Fußball-Bund? Mit Blick auf das „Dritte Reich“ rücken Sie nachdrücklich von der These ab, dass bei der Anbiederung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an die NSDAP ökonomische Interessen dominiert hätten. Was dann?
Dr. Oswald: Die These von den „ökonomischen Interessen“ greift schon deshalb viel zu kurz, weil es sich im Falle des DFB nicht um ein Wirtschaftsunternehmen handelt, sondern um einen Verband, dessen Primärziele nicht betriebswirtschaftlich definiert sind.
Was man hingegen im Blick behalten muss, ist, dass sich der Fußball-Bund zu Beginn der 1930er – vor allem aufgrund der ungelösten Profifrage – in einer schweren Existenzkrise befand. Es gab immer wieder Initiativen, die auf die Gründung einer Profiliga außerhalb des DFB hinausgelaufen wären. Die Anbiederung des Verbandes an den Nationalsozialismus erfolgte also, um die Machtstellung im deutschen Fußball nicht zu verlieren. Zu diesem Zweck wiederum wurde die ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus betont, wobei der DFB auf zahllose reaktionäre Stellungnahmen aus den 1920ern zurückgreifen konnte, die aus den eigenen Reihen lanciert worden waren.
L.I.S.A.: Begriffe wie Volk und Nation kommen im heutigen politischen Diskurs eher selten als ausgesprochene meinungs- und willensbildende Kategorien vor. Im Fußball, aber auch in anderen Sportarten, sind sie dagegen nach wie vor sehr präsent. Ist das ein Zeichen dafür, dass sich der Fußball von Ideologie und Politik entkoppelt hat?
Dr. Oswald: Hier nimmt Deutschland gewiss eine Sonderstellung ein. In Deutschland war nach den Erfahrungen des Dritten Reiches der Begriff der „Nation“ in weiten Teilen der Gesellschaft diskreditiert – und ebenso die dazugehörige Symbolik und Rhetorik. In der Rückschau auf den ersten sportlichen Triumph Westdeutschlands – das „Wunder von Bern“ 1954 – schien sich jedoch eine Nische für einen „reformierten“ Nationalismus anzubieten. Fußball schien unbelastet von der Vergangenheit, unbelastet von Militär, Krieg und Rassismus – nichts, wofür man sich – nun als BRD-Weltbürger – gegenüber dem Ausland schämen musste. Deshalb haben wir in Deutschland die wohl seltsame Situation, dass nur alle zwei Jahre, anlässlich der internationalen Turniere, flächendeckend beflaggt wird. Letztlich aber wird man sagen dürfen, dass die BRD-Gesellschaft in politisch-ideologischer Hinsicht mit ihrem entmilitarisierten Fußball-Nationalismus sehr gut fährt – siehe WM 2006.