Im Zeitraum vom 19.05-21.05.2022 findet das kulturwissenschaftliche Film- und Medienfestival Artefacta in Kooperation mit der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf und der Gerda Henkel Stiftung statt. Mehr als 130 Einreicher aus mehr als zwei Dutzend Nationen haben auf den Aufruf des Vorstands des Träger-Vereins „Cinarchea e.V.“ hin ihre Beiträge eingesendet, die von einer internationalen Jury von Expert*innen beurteilt werden. Wir möchten im Vorfeld der Veranstaltung Medienschaffende und Wissenschaftler zum Thema der Wissensvermittlung von kulturhistorischen Themen im 21. Jh. befragen. Im aktuellen Beitrag steht der Hamburger Manfred Uhlig (MU), Regisseur der erfolgreichen Arte-Dokumentation „Die Druiden - mächtige Priester der Kelten“ im Interview mit Dr. Andy Reymann (AR).
Das Interview
AR: Lieber Herr Uhlig, vielen Dank, dass Sie Zeit für dieses Interview gefunden haben. Auch wenn Ihre Arte-Dokumentation zu den Druiden ja bereits ausgestrahlt wurde und allein auf Youtube mehr als 1 Million Aufrufe hat, sind Sie wahrscheinlich bereits mit den Vorbereitungen des nächsten Projektes beschäftigt?
MU: Die 1 Million Klicks sind für uns ein großer Ansporn, denn die Zahl der Zuschauer ist die Währung, in der wir Fernsehmacher für unsere Arbeit belohnt werden. Wir müssen ja immer wieder komplexe Themen so herunterbrechen, dass die Mehrzahl der Fernsehzuschauer und Fernsehzuschauerinnen etwas davon hat. Wir wenden uns eben gerade nicht an ein Fachpublikum. Unsere nächste große Geschichtsdoku läuft im NDR und beschäftigt sich mit dem Bau des Hindenburgdamms - der Landverbindung nach Sylt. Der Film "Sylt, das Blumenmädchen und der Damm" läuft am 7. Juli um 20:15 Uhr im NDR und steht danach in der ARD-Mediathek.
AR: Wieviel Vorbereitungszeit gehört zu einer solchen Dokumentation? Also mit welchen Zeitfenstern muss man für Recherchen, Kontaktaufnahme zu Expert*innen und anderen rechnen?
MU: Von der Planung bis zur Sendung brauchen wir in der Regel ein Jahr. Die größte Herausforderung ist, spannende Protagonisten und Protagonistinnen zu finden, denn nicht jeder Wissenschaftler ist auch ein guter Erzähler. Und dann geht es immer wieder darum, den Fachleuten ihre Fachsprache auszutreiben. Wissenschaftler - und vor allem Archäologen - wollen ja vor allem vor ihren Kollegen und Kolleginnen gut dastehen, und darüber vergessen sie oft, dass der normale Fernsehzuschauer sie dann nicht mehr versteht.
AR: Hat sich durch Corona und seine Auswirkungen hier viel verändert?
MU: Ja, in den letzten Jahren konnte man nur im Sommer drehen, weil Corona-Beschränkungen das Reisen im Herbst und im Winter unmöglich machten. Und dann sind da noch diese aus Journalistensicht entsetzlichen Gesichtsmasken, die einen großen Teil der Mimik des Gegenübers verdecken. Denn in Gesichtern das vielleicht Unausgesprochene zu lesen macht ja gerade den Reiz des Fernsehens im Vergleich zum Podcast aus.
AR: Dokumentarfilme haben in der Vergangenheit immer auf ein ganz bestimmtes Publikum abgezielt. Es war, so möchte man meinen, stets der Versuch, einen Spagat zwischen Bildung und Unterhaltung zu finden. Inwiefern musste sich Ihrer Meinung nach der klassische Film auch dem Geschmack einer neuen Zeit anpassen, in der vor allem das junge Publikum sich an kurzen Videos, unter anderem den Instagram Reels erheitert und bildet?
MU: Es stimmt, die Art Filme zu gestalten hat sich in den letzten Jahren sehr verändert - ich glaube zum Besseren. Neue technische Möglichkeiten wie Drohnen oder Animationen helfen dabei, komplexe Sachverhalte anschaulich darzustellen. Unser Publikum ist selten jünger als 30 Jahre alt, oft 50 und darüber. Vielleicht braucht man ein gewisses Alter, um sich für Hintergrundinformationen zu interessieren. Unser Trost: Auch das junge Publikum kommt einmal in diesen Altersbereich.
AR: Stichwort Instagram und Social Media: Wie wird heute ein Film vermarktet – und bewertet? Ihr Film wurde ja mehr als 1 Million mal bei Youtube angesehen – ist dies das neue Bewertungskriterium für Filme?
MU: Der Trend geht eindeutig weg vom analogen Fernsehen hin zu den Mediatheken. Und das ist gut so. Wer will sich schon zu nachtschlafender Zeit eine interessante Doku ansehen? Ich selbst konsumiere Filme und Dokus fast nur noch über die Mediatheken von ARD, ZDF, ARTE und NETFLIX. Und klar: Je mehr Leute einen Film ansehen, desto besser für uns Filmemacher. Erfolg ist das beste Argument dafür, die nächste Filmidee an einen Sender zu verkaufen.
AR: Die Arbeit mit historischen und auch archäologischen Themen ist stets mit Fingerspitzengefühl verbunden. Gerade die aktuelle Debatte um Kolonialismus, aber auch die in vielen Ländern einsetzenden Nationalisierungsbestrebungen und das Topic „Fake News“ hat zu einer Reflektion über die Narrativität von Geschichtsdarstellungen beigetragen. Sie sind als Regisseur ja per Definition ein Geschichtenerzähler. Wie reflektieren Sie über das Bild, dass Ihre Arbeiten vermitteln?
MU: Ich glaube gerade bei Filmen über archäologische Themen besteht die größte Falle darin, zu explizit zu bebildern. Wer weiß schon genau, wie beispielsweise ein keltischer Krieger ausgesehen hat? Und trotzdem bevölkern Laiendarsteller viele Geschichtsdokus. Mich stört das sehr, und ich versuche stattdessen, der Phantasie der Zuschauer möglichst viel Raum zu geben. Und trotzdem müssen wir Geschichten von Menschen erzählen. Da gibt es eine oder mehrere Hauptpersonen, die vor Herausforderungen stehen: Archäologen, die ein Rätsel lösen wollen. Schade, dass es so wenige Archäologinnen gibt: Dem weiblichen Blick auf die Forschung würde ich gern mehr Platz einräumen.
AR: Gibt es tatsächlich wenige Archäologinnen? An den entsprechenden Lehrstühlen finden sich für gewöhnlich recht ausgeglichene Zahlen der Studienanfänger*innen? Liegt das Problem an dem Wechsel in feste oder gar leitende Positionen?
MU: Schade, dass es so wenige Archäologinnen in leitenden Positionen gibt: Dem weiblichen Blick auf die Forschung würde ich gern mehr Platz einräumen.
AR: Gab es da gerade im Hinblick auf den Druiden-Film besondere Überlegungen zum Thema Narrationen?
MU: Wohl kaum eine historische Figur ist gleichzeitig so rätselhaft und dennoch bildlich so präsent wie ein keltischer Druide. Da war die Verlockung groß, einen Miraculix auferstehen zu lassen mit weißem Gewand und einer Goldsichel in der Hand. Fake News! Wir haben stattdessen erklärt, woher dieses Bild stammt, und versucht, uns auf die archäologische Faktenlage zu konzentrieren.
AR: Und wie gehen Sie mit kritischen oder kritisch zu bewertenden Ansichten bei den Expert*innen um, denen Sie bei Recherchen begegnen?
MU: Ich freue mich über jeden Experten, der den Mut zu einer Meinung hat, und der sich nicht aufs Vage und Ungefähre beschränkt. Denn erst wenn man sich angreifbar macht, kommt ein Diskurs zustande.
AR: Lieber Herr Uhlig, vielen Dank für das Interview und viel Glück bei Ihren weiteren Projekten!