Der russische Zar Peter I. verfolgte das Ziel, Russland nach Westen zu öffnen und als euröpäische Macht zu etablieren. Einen Schlüssel dazu sah er in der Einführung europäischer Sitten am Zarenhof. Er war der erste, der seinen Sohn und Thronfolger mit einer deutschen Prinzessin verheiratete, und seine Nachfolger sind diesem Beispiel später gefolgt, so dass Russland sechs Kaiserinnen deutscher Herkunft hatte. Die bekannteste unter ihnen war Katharina II., die 1729 als Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst in Stettin geboren wurde. Ihr folgten weitere Prinzessinnen, darunter Sophie Dorothee von Württemberg, Charlotte von Preußen und Marie von Hessen und bei Rhein. Die Historikerin Dr. Marianna Butenschön hat zwei von ihnen in einzelnen Biographien porträtiert. Wir wollten von ihr wissen, wie aus deutschen Prinzessinnen russische Kaiserinnen wurden und welche Bedeutung sie für die Geschichte Russlands hatten.
"Die Prinzessinnen stammten aus den protestantischen deutschen Dynastien"
L.I.S.A.: Frau Dr. Butenschön, vor kurzem ist Ihre zweite Biographie einer russischen Kaiserin erschienen – „Maria, Kaiserin von Russland. Die Württembergerin auf dem Zarenthron“. Im ersten Band haben Sie sich mit Kaiserin Alexandra, der „Preußin auf dem Zarenthron“ beschäftigt. Der dritte Band der Trilogie, „Die Hessin auf dem Zarenthron“, ist in Arbeit. Was hat Sie dazu veranlasst, russische Kaiserinnen deutscher Herkunft zu erforschen?
Dr. Butenschön: Der Anlass, mir die Biografien der deutschen Prinzessinnen auf dem Zarenthron vorzunehmen, war eine Entdeckung, die ich bei der Arbeit an meiner Geschichte der Ermitage gemacht habe, die 2008 unter dem Titel „Ein Zaubertempel für die Musen. Die Ermitage in St. Petersburg“ bei Böhlau in Köln erschienen ist. Dabei musste ich mich auch mit Nikolaus I. beschäftigen, der einen ausgesprochen schlechten Ruf als Despot und „Gendarm Europas“ hat, der aber auch ein großer Kunstliebhaber und Kunstkenner war, wenn auch ein höchst eigenwilliger. Ihm verdankt Russland die Neue Ermitage, die er nach einem Entwurf des Münchner Hofarchitekten Leo von Klenze bauen ließ. Nikolaus war mit Charlotte von Preußen verheiratet, der ältesten Tochter der legendären Königin Luise, die in Russland den Namen Alexandra Fjodorowna erhielt. Charlotte-Alexandra hat in ihrer neuen Heimat den Brauch eingeführt, zu Weinachten einen Tannenbaum zu schmücken, Heiligabend Geschenke darunter zu legen und die Kerzen anzuzünden. Das geschah zum ersten Mal im Dezember 1817 im Moskauer Kreml. Außerdem hat sie den Kindergeburtstag in Russland eingeführt. Im Laufe der Recherchen habe ich dann herausgefunden, dass die Ermitage ihre Bilder und Zeichnungen von Caspar David Friedrich dieser Kaiserin verdankt, die sie auf Anregung ihres Russischlehrers, des bedeutenden Dichters und Übersetzers Wassilij A. Schukowskij, bei seinem Freund Friedrich in Dresden kaufen ließ. Alexandra besaß selbst eine große Gemäldesammlung.
Natürlich bin ich schon bei den Recherchen auf Charlottes Schwiegermutter, die Kaiserin Maria, geb. Sophie Dorothea von Württemberg, gestoßen, später dann auch auf ihre Schwiegertochter Maria, geb. Marie von Hessen und bei Rhein. Und da stellte sich schon die Frage, warum haben die Romanows seit Beginn des 18. Jahrhunderts mit einer Ausnahme Deutsche geheiratet, und warum wissen wir fast nichts über diese Frauen? Also habe ich nachgesehen. Die erste deutsche Prinzessin, die nach Russland heiratete, war Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel, die Schwiegertochter Peters des Großen. Die zweite war Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst, die den Kaiser Peter III., ihren Mann, 1762 entthronte und als Katharina II. selbst herrschte. Die dritte war Sophie Dorothea von Württemberg, die Frau Pauls I., Schöpferin des Palastparkensembles Pawlowsk südlich von St. Petersburg, Begründerin der öffentlichen Wohltätigkeit und Pionierin der Behindertenbildung in Russland, Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Die vierte war Luise von Baden, die Frau Alexanders I., die in Russland Elisabeth Alexejewna hieß, die fünfte war Charlotte von Preußen, die sechste Marie von Hessen und bei Rhein, die Frau Alexanders II., und die siebente war Alix von Hessen-Darmstadt, die Frau Nikolaus‘ II., des letzten Romanow-Kaisers. Die Ausnahme von der Regel war Dagmar von Dänemark aus dem Hause Glücksburg, die Mutter Nikolaus‘ II. Infolge dieser Heiraten war die Dynastie Romanow-Holstein-Gottorp, wie sie seit Peter III. vollständig hieß, am Ende ethnisch eine deutsche Dynastie. Dabei fällt auf, dass die Prinzessinnen aus den protestantischen deutschen Dynastien stammten. Denn nur die Protestantinnen waren bereit, die Konfession zu wechseln und russisch-orthodox zu werden - ohne Konversion war eine russische Heirat nicht möglich. Hingegen waren Katholikinnen nicht zum Übertritt bereit. In einem übergeordneten Sinn sollten die dynastischen Verbindungen des Hauses Romanow mit Westeuropa natürlich auch als „Kitt“ der von Peter dem Großen eingeleiteten Europäisierung Russlands dienen. Auf der anderen Seite war eine russische Heirat ein enormer Prestigegewinn für die kleinen deutschen Fürstenhäuser und finanziell von großem Vorteil. Man muss aber zugeben, dass bei den letzten kaiserlich-russisch-deutschen Ehen zum Glück auch Liebe im Spiel war.
Für mich war wichtig, dass es sich bei diesem Thema um Neuland handelte, und Journalisten schreiben ja am liebsten über Themen, mit denen sich noch kein anderer beschäftigt hat. Natürlich gibt es Kurzbiografien dieser Frauen in Sammelbänden, aber meines Erachtens hat noch niemand systematisch die Frage behandelt, warum die Romanows bevorzugt Deutsche heirateten, was für Frauen das waren, was sie mitbrachten, welchen Einfluss sie auf ihre Männer und somit auf die russische Politik hatten, was sie bewirken konnten usw. Insbesondere der wichtige Aspekt „Kulturtransfer“ ist überhaupt noch nicht beleuchtet worden. Auch hat mich geärgert, dass man die Namen der „angeheirateten“ russischen Kaiserinnen im Register der einschlägigen „Geschichten Russlands“ gar nicht findet, so dass man annehmen muss, dass die Herrscher ihre vielen Kinder selbst zur Welt gebracht haben. Zwei Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Über Katharina II. sind Bibliotheken geschrieben worden, aber sie war Selbstherrscherin und nicht „die Frau an seiner Seite“. Die zweite Ausnahme ist Alexandra, die unglückliche letzte Kaiserin von Russland, deren tragisches Schicksal viel Lesestoff hervorgebracht hat und weiter hervorbringen wird, vermutlich demnächst wieder zu ihrem 100. Todestag im Juli 2017.
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Ich suchte Informationen zu Zarinnen, ein Seitenhieb auf Putins Politik, der auch ich kritisch gegenüber stehe, ist hier unpassend, völlig überflüssig.
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Mit der Argumentation kann auch Deutschland Schlesien zurückfordern.
Nur Verhandlungen können die Lösung sein.
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Dieser - aus dem Zeitgeist geborene - Satz relativiert das Interview leider.
Wie jeder Historiker weiss, gehört die Krim zu Rußland.