L.I.S.A.: Lassen sich aus der Erforschung der Herrschaft der SED an einem begrenzten Ort, wie in Ihrer Studie der Bergakademie Freiberg, Rückschlüsse auf Struktur und Funktion der SED-Herrschaft in der DDR insgesamt ableiten? Oder verhält es sich umgekehrt: Brechen Einzelstudien die bisherige Sicht auf die SED-Herrschaft in der DDR eher auf und verlangen nach Korrektur?
Dr. Triebel: Lokalstudien können nicht das ganze System erklären. Aber sie lassen Rückschlüsse auf andere Orte oder gesellschaftliche Bereiche zu – in meinem Fall auf die Rolle der SED an den Universitäten in der DDR.
So lässt sich fragen, ob in den 1970er und 1980er Jahren die Partei andernorts mit ähnlichen Schwierigkeiten kämpfte wie die Genossen an der Bergakademie. In dieser Zeit litt der SED-Verband an seiner eigenen Macht: Immer mehr Wissenschaftler drängten in seine Reihen, die Funktionäre nahmen jedoch nicht alle auf. Dafür gab es schon zu viele Akademiker unter den Mitgliedern, die SED verstand sich nach wie vor als Arbeiterpartei. Doch gerade diejenigen an der Bergakademie, die als Arbeiter galten – Hausmeister, Küchenkräfte und Laboranten – wollten nicht Mitglied werden. Die Funktionäre bemühten sich jahrelang, mehr Arbeiter zu werben – letztlich ohne großen Erfolg. Mitte der 1980er Jahre waren knapp zehn Prozent der SED-Mitglieder Arbeiter, die übergroße Mehrheit der Anhänger – Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter, Dozenten und Professoren – zählte zur „Intelligenz“.
Solche Erkenntnisse tragen zu einer differenzierten Sicht auf die SED-Herrschaft bei. Arbeiten wie mein Buch erklären, wie die Diktatur im Alltag der Menschen funktioniert hat. Denn längst sind noch nicht alle Fragen zur DDR-Geschichte geklärt, gerade in Hinblick auf den Herbst 1989, als die SED und ihre über 40-jährige Herrschaft innerhalb weniger Monate im ganzen Land zusammenbrach. Dass sich die meisten Mitglieder und Funktionäre gegen den eigenen Machtverlust kaum wehrten, lag nicht nur am Ausmaß der Protestbewegung und fehlender sowjetischer Unterstützung. Viele Genossen hatten nach meinen Erkenntnissen innerlich resigniert.
In den 1980er Jahren waren die SED-Mitglieder an der Bergakademie mit den gleichen Problemen konfrontiert wie ihre parteilosen Kommilitonen und Kollegen – auch sie standen vor leeren Regalen in der Kaufhalle, mussten forschungsrelevante Geräte über Umwege beschaffen und lasen in den Zeitungen einseitige Erfolgsmeldungen über den Sozialismus in der DDR. Gleichzeitig war es ihre Aufgabe, die Politik der Parteispitze an der Hochschule zu vertreten. Dieser Spagat wurde immer schwieriger, je länger die Führungsriege um den Generalsekretär Erich Honecker die angespannte Lage im Land ignorierte. Viele SED-Anhänger an der Bergakademie verloren im Laufe der Zeit die Hoffnung auf einen Wandel und setzten sich kaum noch offensiv für den verordneten Kurs ein. Als die Partei im Herbst 1989 wankte, trat ein Großteil der Mitglieder aus ihren Reihen aus. Nur wenige verschrieben sich einem Neuanfang, sodass sich die Parteiorganisation an der Hochschule schließlich auflöste.