Am 31. Mai 1873 stieß Heinrich Schliemann bei Ausgrabungen in Troja auf einen Fund, der ihn schlagartig berühmt machen sollte. Die Nachricht von der Entdeckung des vermeintlichen "Schatzes des Priamos" verbreitete sich wie ein Lauffeuer um die Welt – ganz ohne Internet und Datenkabel. Doch die medialen Logiken, die Inszenierung von Ausgrabungen und das Bild von Archäologie in den Medien hat sich seither kaum geändert, so die Historikerin Dr. Stefanie Samida. Sie hat sich mit der archäologischen Entdeckung als Medienereignis und dem Medienprofi Schliemann auseinandergesetzt. Hierzu haben wir ihr unsere Fragen gestellt.
"Die Nachricht vom Schatz des Priamos ging um die Welt"
L.I.S.A.: Frau Dr. Samida, am 31. Mai jährt sich die Entdeckung des sogenannten Schatz des Priamos durch den Archäologen Heinrich Schliemann zum 150. Mal. In einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Forschungsprojekt haben Sie sich vor einiger Zeit mit der archäologischen Entdeckung als Medienereignis beschäftigt. War die Entdeckung des vermeintlichen Priamos-Schatzes damals die Sensation, die der Name vermuten lässt und wie wurde diese in den Medien aufgegriffen?
Dr. Samida: Die Nachricht vom „Schatz des Priamos“ ging damals um die Welt. In einem Beitrag in der Allgemeinen Zeitung aus Augsburg vom 5. August 1873 machte Heinrich Schliemann die Entdeckung publik. Es gab im Vorfeld ein regelrechtes hin und her zwischen ihm und seinem Verleger Eduard Brockhaus. Das zeigt der Briefwechsel zwischen den beiden. Es wird deutlich, dass Schliemann nichts dem Zufall überlassen wollte, Brockhaus wiederum war daran gelegen, nicht zu früh mit der Meldung loszupreschen – er wollte schließlich das geplante und in Arbeit befindliche Buch Schliemanns verkaufen. Am Ende setzte sich der Ausgräber durch und der Bericht erschien dann in der Allgemeinen Zeitung. Schliemann hatte zwar seit 1870 regelmäßig über seine Ausgrabungen auf Hisarlık in der Zeitung berichtet, aber der „Durchbruch“ war natürlich die Nachricht zum „Schatz des Priamos“. Warum? Das bildungsbürgerliche Publikum kannte seinen Homer und damit auch die Geschichte des Troianischen Krieges und seiner Helden. Schon lange war man auf der Suche nach dem legendären Troia, aber die Lokalisierung des Ortes war bis dato nicht gelungen. Schliemann änderte das sozusagen, denn er war nach seiner ersten Ausgrabungskampagne überzeugt, das homerische Troia entdeckt zu haben – und das ließ er die Welt mit breiter Brust wissen. Mit dem Schatzfund 1873 sah er sich bestätigt; der Fund passte ins schwärmerische Bild – nicht nur Schliemanns, sondern der Gesellschaft.
Die Nachricht von der Entdeckung des Schatzfundes machte den Autodidakten Schliemann über Nacht berühmt. Zahlreiche Blätter nahmen Bezug auf den Beitrag in der Allgemeinen Zeitung. So gab beispielsweise die Vossische Zeitung aus Berlin den Artikel in identischer Form am 7. August wieder, die wöchentlich erscheinende Illustrirte Zeitung aus Leipzig rekurrierte in ihrer Ausgabe vom 16. August auf die Meldung. Das bekannte Berliner Satireblatt Kladderadatsch reagierte ebenfalls schnell; schon am 10. August erschien ein erstes Spottgedicht auf die sensationelle Bekanntmachung, dem bis September fünf weitere folgen sollten. Auch die englische Presse reagierte, z. B. die illustrierte Zeitschrift The Graphic am 23. August 1873. Das Medienecho war also beachtlich. Auch die Wissenschaft war „aufgeschreckt“; kaum vier Wochen nach Schliemanns Beitrag erschien eine erste kritische Stellungnahme, in der ein griechischer Archäologe deutlich machte, dass der von Schliemann gemachte Fund mit dem Schatz des troianischen Königs Priamos nicht das geringste gemein habe. Damit begann die Debatte um die Echtheit und Deutung des Schatzes und der anderen von Schliemann entdeckten Funde.